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Zeit der Sternschnuppen

Zeit der Sternschnuppen

Titel: Zeit der Sternschnuppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Ziergiebel
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die hübschen, zierlichen Tänzerinnen – ein Götterleben! Was ist mir geblieben? Nur das kümmerliche Etwas, das uns jetzt umgibt…«
Er wischte sich über die Augen, ordnete pedantisch den Bart und bat mich, einen Schluck auf die Freunde und Verwandten in der Unterwelt zu trinken.
Nachdem wir dies mit Andacht und Würde getan hatten, ließ er Fritzchen weiterdolmetschen: »Was ist das Leben, mein Sohn? Eine flüchtige Welle hebt dich empor, du steigst, glaubst dich allmächtig und unsterblich. Doch ehe du Klarheit über dein eigenes Ich gewonnen hast, reißt dich dieselbe Welle in den Abgrund. Mich hat sie hierher geschleudert…« Mit wehmütigem Pathos deklamierte er:
»Sterblich bist du; denke dran, und des Lebens dich freuend, stille des Herzens Gelüst. Kein Wohlsein blühet dem Toten. Staub bin ich nun, obwohl einst reich im herrlichen Babylon. Nur was der Gaumen, mutwilliger Scherz und die Lieb an Genüssen mir gewährten, ist mein; sonst jegliche Güter verließ ich. Sei dies weise Ermahnung zum Leben den sterblichen Menschen…«
Dem guten alten Schlemmer liefen die Tränen über die Wangen. Der ungewohnte Weingenuß reizte mich zum Spott. Ich klopfte ihm auf die Schulter und sagte tröstend: »Genug der Erinnerung, genug der Zähren. Eure Genüßlichkeit. Nicht Staub bist du, nicht Wanderer durch alle Höllenschlünde. Siehe, auch uns erquicket köstlicher Wein.« (Jede Essigfabrik auf der Erde würde dich um diesen Tropfen beneiden.)
Er lächelte schon wieder. Wir stießen an. Mich ritt der Schalksnarr. »Hast gelebt, Väterchen«, fuhr ich fort, »geschlemmt und geschachert – immer feucht-fröhlich in den Tag hinein. Deine weisen Mahnungen kommen zu spät. Ihr wart alle nur auf euer Wohlleben bedacht – oder hast du dich je als soziales Wesen begriffen? Nein. Hast du je die Worte deines Herakleitos bedacht? Auch nicht. Hast du je daran gedacht, daß eure ewigen Wahrheiten, an die ihr geglaubt habt, einmal schal werden könnten? Nein. Eure Macht ist dahin, eure Götter in den Museen zu besichtigen. Völlerei, hast du getrieben…« (Ein Gänsebraten mit Rosenkohl und Pfirsichkompott wären als Abendessen nicht zu verachten.) »Dazu kommt dein frevelhafter Lebenswandel mit den zahllosen Weibern und Knaben. Darauf stehen alle Höllenqualen Dantes. Deine Zechbrüder stehen bereits bis zum Hals im Sumpf…«
Er blickte mich mißtrauisch an, entschloß sich jedoch, meine Worte auf seine Weise zu deuten, klopfte mir nun ebenfalls auf die Schulter und meinte: »Du hast nicht ganz unrecht, mein Guter. Es gab eine gewisse Opposition gegen Bil-sar-ussur. Wer weiß, wie die Entwicklung verlaufen wäre, hätte sie die Macht übernommen. Doch lassen wir Gewesenes, ich bin liier und will mit dem zufrieden sein, was mir geblieben ist. Leben und Wahrheit sind nun einmal dort, wo du bist. Hast du erst den Arsch zugekniffen, ist auch diese Welt nicht mehr. Ist nicht jeder ein Narr, der nicht versucht, den Augenblick festzuhalten?«
»Das ist er, mein Alter. Es fragt sich nur, wie man den Augenblick festzuhalten versucht. Die Geschichte jeder Gegenwart wird von der Nachwelt bewertet und geschrieben. Auch über deine Zeit wurde das Urteil gefällt.«
Seine vom Wein leicht geröteten Augen waren auf mich gerichtet. »Kennst du das Urteil?«
»Ja. Mene Tekel Peres – gewogen und zu leicht befunden.«
»Dieses Urteil erkenne ich nicht an, es zeugt von Unverstand«, erklärte er kategorisch. »Ich kenne die Weltverbesserer, die Narren, die Neider. Wir haben ihnen die Köpfe reihenweise abgeschnitten und Pfähle durch die Füße gebohrt. Ich muß feststellen, mein Sohn, daß du einen ordinären Geschmack entwickelst, doch billige ich es als eine Künstlerlaune. Gib mir den Krug, damit ich ihn wieder fülle.« Leicht schwankend ging der Alte mit den Krügen fort, um neuen Wein zu holen.
Wie zäh das ist, kam es mir in den Sinn, sein Gedankengut hat Jahrtausende überdauert. Am Ende rechtfertigen sie ihr vertanes, egozentrisches Dasein durch die triviale Weisheit, daß das Leben sterblich ist. Er wird sich umsehen, wenn wir in Kürze aufbrechen. Er wird lernen müssen, sich als ein soziales Wesen zu begreifen. Anderseits – die parasitären Kasten sind noch längst nicht ausgestorben. Es wird ein interessantes Experiment werden…
Der Alte kam zurück, sagte aufgekratzt: »In manchem magst du recht haben, mein Sohn, bist mir an Erfahrungen voraus. Auf solche wie du paßt das Sprichwort: Ein fauler Scheliak ist ein halber

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