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Zeit der Sternschnuppen

Zeit der Sternschnuppen

Titel: Zeit der Sternschnuppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Ziergiebel
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wie oft ich schon besoffen war. Bei der Göttin Istar, nach dem Abendstern der Liebe genannt, du mußt fest in die Zügel greifen, wenn sie dein Weib geworden ist. Glaube einem erfahrenen Mann: Alle Weiber neigen zur Unterjochung…«
Fritzchen übersetzte seine Worte, als betreibe er eine mathematische Übung. Der Alte füllte die Krüge, jeder faßte mehr als einen halben Liter. Ich fühlte, wie mir der Wein in den Kopf stieg. »Also auf der ›Quil‹ ist sie«, murmelte ich, »das ist wunderbar, Vater. Sie wird mit Me reden, und alles geht in Ordnung. Es wird eine phantastische Rückkehr werden, auch du wirst dich freuen…«
Er ahnte nicht, was ich meinte. »Du hast recht, ich freue mich immer, wenn ich mein Töchterchen in die Arme schließen kann. Ich glaube nur nicht, daß sie mit dem Me spricht. Hinter diesen Buchstaben verbirgt sich etwas ganz anderes. Ich habe da meine eigene Theorie. Es könnte doch sein, daß sich hinterm Jupiter Bel, Raman oder auch Marduk verbirgt, einer ihrer Götter…« Er deutete mit dem Daumen auf Fritzchen. »Alle brauchen ihre Götter…«
Fritz hatte mir die »Theorie« übersetzt und fügte hinzu: »Der Vater irrt sich, Me ist kein Gott, er ist nur eine höhere Ordnung…«
Ich hörte nur mit halbem Ohr zu. Morgen, das hieß noch einen Mondtag und eine Mondnacht, dann war Aul wieder hier. Ein inneres Orakel sagte mir, daß unser Rückflug bevorstand. Ganz sicher aber war meine Rückkehr angeordnet. Am liebsten hätte ich zu singen angefangen. Du mußt die Zeit nutzen, ging es mir durch den Kopf, zeichnen, Skizzen anfertigen, festhalten, was um dich herum ist, vielleicht ist heute die letzte Gelegenheit dazu. Welt von morgen, um dich ist die Wirklichkeit gewordene Zukunft…
»Was muffelt er wieder unaufgefordert?« forschte der Alte mißtrauisch.
Fritz wiederholte seine Ansicht von der höheren Ordnung.
Ich stand auf, um das Zeichenmaterial zu holen. »Racha, elender!« schrie mir mein Dolmetscher nach. »Du bist ein ungezogener Lümmel, ein lächerlicher Glaskopf, ein Eunuche! Fünfundzwanzig Schläge auf die Fußsohlen verdienst du!«
Er übersetzte mir nur getreulich, womit ihn der Alte beschimpfte.
Ich holte die Zeichenfolien und Farbstifte aus dem Nebenraum, ging damit ins »Freie« und fing an, wie besessen Skizzen zu entwerfen. Die Linien krümmten sich zu Hyperbeln, endeten im Uferlosen. Das Erlebte und dennoch Unvorstellbare löste sich in undeutbare Formen auf. Der Alte, die beiden nachgefüllten Krüge in den Händen, gesellte sich neugierig zu mir, blinzelte ratlos auf meine Skizzen. »Wie nennst du das Gekritzel?« erkundigte er sich.
»Das ist kein Gekritzel, Vater, das ist Futurum exaktum. Vielleicht die Welt von übermorgen.« Ich studierte sein Profil. Er erschien mir wie ein Sprößling der Ramses-Dynastie. Ich wollte sein Porträt festhalten, doch sein langer Bart, der mir wichtig war, lief mir aus der Folie heraus. Schließlich zeichnete ich ihn in voller Lebensgröße, versah den Hintergrund mit klassischen Vasen, Krügen und anderem Dekor.
»Das Auge Bels hat dich geführt, es ist beinahe vollkommen«, lobte der Alte. »Wenn du mir vielleicht noch ein Gewand umhängen könntest – es müßte von leuchtend blauer Farbe sein, dazu einige Ornamente am Ärmel. Um den Hals wünschte ich mir einen Skarabäus an einem goldenen Kettchen. Auch wäre ich dir sehr verbunden, wenn mein Bart eine leichte rötliche Färbung erhielte…«
Ich erfüllte seine Wünsche, fühlte mich ins PergamonMuseum versetzt. Mein Modell war entzückt, ernannte mich zu seinem Leibmaler und bedauerte lebhaft, daß wir uns nicht schon früher begegnet seien.
»Ich nenne es Imperfektum, Väterchen«, sagte ich.
»Nenne es, wie du willst. Dein Kunstwerk ruft Erinnerungen wach. Ich war nicht irgend wer, mein Sohn; du hast keine Ahnung, wie reich ich war. Ich besaß Land und Häuser, machte Geschäfte in Madai und Gedrosia, hatte meine Weiber und Eunuchen und Sklaven. Jeden Tag konnte ich die feinsten Weine saufen. Und das Essen! Die Speisen wurden in goldenen Schüsseln serviert, Hammelkeulen, gebackene Lerchen und saftige Früchte aus aller Herren Ländern. Alles gewürzt, daß dir der Duft schon vor dem Palast in die Nase stieg. Um mich die Freunde, geistreich und witzig. Mein Freund Rhapsodual, ein Priester, der in engster Verbindung mit den Göttern stand, ersann wunderbar freche Verse auf gewisse Satrapen, die ihre Ämter mißbrauchten. Dazu Spielleute mit ihren Saiteninstrumenten und

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