Zeit der Sternschnuppen
wurde feuerrot. Dieses Bild kannte ich von Fritzchen. Offenbar wurde der Vorgang durch innere Widersprüche ausgelöst. Doch bis jetzt hatte niemand mit dem Roboter ein Wort gewechselt. Du mußt etwas unternehmen, hämmerte es in mir, er wird sie umbringen. Uns trennten nur wenige Meter. Ich wollte auf Aul zueilen, als plötzlich Worte laut wurden.
Der Roboter sprach. Es klang hohl und monoton, ein Text, dessen Sinn mir unverständlich blieb. Nur eines begriff ich: Er wiederholte immer wieder die gleichen Worte.
Aul wankte zurück, bis sie an der Wand Halt gefunden hatte. Ihr Gesicht war aschfahl. Ich sah, wie sie sich nur noch mit letzter Anstrengung auf den Beinen halten konnte, und eilte auf sie zu. Im letzten Augenblick konnte ich sie auffangen. Aul lag ohnmächtig in meinen Armen.
Das Groteske schien zur Tragödie zu werden, meine Neugierde machte mich zum Zeugen eines grausigen, unbegreiflichen Geschehens. Ich bemühte mich um Aul, fächelte ihr Luft zu. Hinter mir schnarrte der Glaskopf weiter seinen irren Text. Dabei bewegte er sich langsam auf uns zu. »So helft doch!« schrie ich verzweifelt. Mein Ruf verhallte ungehört.
Sie schlug die Augen auf. »Aul«, stammelte ich, »Kleines…« Bestürzt bemerkte ich, daß sie mich gar nicht zur Kenntnis nahm, sondern nur den irren Roboter ansah. Dann kam ein Wort über ihre Lippen, laut und befehlend. Der Redefluß des Glaskopfes brach ab. Er machte kehrt, ging ein paar Schritte den Gang entlang. Gleich darauf umringten ihn die drei Violettgekleideten.
Weg von hier, dachte ich, fort aus diesem Labyrinth. Ehe ich jedoch dazu kam, mein Vorhaben auszuführen, geschah etwas, was mich lähmte und an meinen Platz fesselte. Was sich vor meinen Augen abspielte, war so ungeheuerlich und faszinierend zugleich, daß mich Entsetzen und fassungsloses Staunen ergriff.
Die Violettgekleideten demontierten ihren Kollegen. Sein Glashelm polterte auf den Boden, rollte scheppernd gegen die Felswand. Sie hatten ihm das Trikot aufgerissen, den Brustkorb geöffnet, holten Teile heraus und verbargen sie in ihren Taschen. Der rechte Arm des Roboters fiel ab, der Kleine schwankte. Sekunden später lag das eben noch lebendige, schöpferische Gebilde in seinen Einzelteilen auf dem Gang. Dann richtete einer der Violettgekleideten das taschenlampenähnliche Gerät auf die Wrackteile. Eine Dampfwolke stieg auf, ich verspürte eine Wärmewelle. Von
dem Roboter war nichts mehr zu sehen.
Es kam mir nicht in den Sinn, daß hier nur ein Apparat, ein elektronisches Gehirn, in seine Bestandteile aufgelöst und verdampft worden war. Gewohnt an Fritzchens kluges Verhalten, empfand ich die Zerstörung wie einen kaltblütigen Mord. Mit weichen Knien stützte ich Aul. Wir schleppten uns weg, versuchten zu rennen, stolperten und mußten immer wieder stehenbleiben, um Atem zu schöpfen. Wir sagten kein Wort, liefen und liefen. Einmal blickte ich mich um, fürchtete, sie könnten uns folgen. Doch hinter uns war der Gang leer, als wäre alles nur ein entsetzlicher Traum gewesen. Aul sackten die Beine weg. Ich trug sie das letzte Stück. Das Geschehen hatte mich wie eine Naturkatastrophe getroffen, aus der ich sie und mich retten mußte.
In der Stube des Alten lagen die Karten noch immer auf dem Tisch. Fritzchen und er waren im Garten. Unbemerkt konnte ich Aul in unser Zimmer tragen. Ich holte einen Krug Wasser und befeuchtete ihre Schläfen. Sie erwachte aus ihrer Ohnmacht wie aus einem tiefen Schlaf, sah mich grübelnd an, bis die Erinnerung zurückkehrte. In ihren Augen war jedoch nichts von Furcht zu erkennen. Nur Trauer lag darin. Ich wagte nicht, Fragen zu stellen. Sie mußte wissen, daß ich für diesen unbegreiflichen Widersinn eine Erklärung brauchte.
Eine Zeitlang saß ich bei ihr, hielt ihre Hand. Vergeblich bemühte ich mich, mir die Worte des massakrierten Roboters ins Gedächtnis zurückzurufen. Ihre Übersetzung hätte mir vielleicht Aufschluß über sein rätselhaftes Verhalten geben können. War der Text der Schlüssel zu dem Geheimnis, das bis jetzt nur Aul und die drei Violettgekleideten kannten?
Allmählich verlor sich die bleiche Farbe auf ihren Wangen. Sie richtete sich auf und sagte flüsternd: »Bitte, frage jetzt nicht. Sprich auch nicht mit Vater oder Fritz darüber…«
»Ich werde dich nicht fragen, Aul. Aber irgendwann einmal wirst du es mir sagen müssen. Ein solches Geheimnis darf zwischen uns nicht sein.«
Ihre Augen waren auf mich gerichtet, aber sie sah mich nicht,
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