Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
sich auf dem Pfad ins Lager befand, und inzwischen prasselte der Regen geschäftig auf das Zeltleinen, und ein süßer, erdiger Geruch stieg auf. Falls der Todesgesang noch andauerte, war er im Geräusch des Regens nicht mehr zu hören.
Grey drehte sich um, so dass die Grasfüllung des Schlafsacks leise unter ihm raschelte, dann schlief er augenblicklich ein.
ER ERWACHTE ABRUPT und fand sich einem Indianer gegenüber. Doch die Antwort auf seine hektischen Bewegungen war kein Messer an der Kehle, sondern ein leises Glucksen und ein kaum merkliches Zurückweichen, und er tauchte gerade noch rechtzeitig aus dem Nebel des Schlafs auf, bevor er dem Kundschafter Manoke etwas antat.
»Was?«, murmelte er und rieb sich mit der Handwurzel die Augen. »Was ist denn?« Und warum zum Teufel liegst du auf meinem Bett?
Als Antwort darauf legte ihm der Indianer eine Hand hinter den Kopf, zog ihn an sich und küsste ihn. Die Zunge des Mannes fuhr ihm sacht über die Unterlippe, huschte ihm wie eine Eidechse in den Mund, und dann war sie fort.
Genau wie der Indianer.
Er drehte sich auf den Rücken und kniff die Augen zu. Ein Traum. Es regnete immer noch, stärker jetzt. Er atmete tief ein; er konnte Bärenschmalz riechen, natürlich, auf seiner eigenen Haut, und Minze – war da nicht ein Hauch Metall? Es war jetzt heller – es musste Tag sein; er hörte den Trommler durch die Zeltgassen gehen, um die Männer zu wecken, und das Rattern seiner Trommelstöcke verschmolz mit dem Rattern des Regens, den Rufen der Korporäle und Sergeanten –, doch nach wie vor war es dämmrig und grau. Er glaubte nicht, dass er mehr als eine halbe Stunde geschlafen hatte.
»Himmel«, murmelte er. Dann drehte er sich steif zur Seite, zog sich den Rock über den Kopf und suchte erneut den Schlaf.
DIE HARWOOD STEUERTE langsam flussaufwärts, stets auf der Hut vor französischen Marodeuren. Es gab noch ein paar Schreckmomente, einschließlich eines weiteren Überfalls durch feindliche Indianer, während sie am Ufer lagerten. Dieser endete jedoch glücklicher; vier Marodeure wurden getötet, und nur ein Koch wurde leicht verwundet. Sie sahen sich gezwungen, eine Weile zu bleiben, wo sie waren und auf eine wolkige Nacht zu warten, in deren Schutz sie sich an der Festung Quebec vorüberstehlen konnten, die bedrohlich auf ihrer Klippe thronte. Trotzdem wurden sie entdeckt, und ein oder zwei Kanonen feuerten in ihre Richtung, jedoch ohne Wirkung. Schließlich liefen sie in den Hafen von Gareon ein, Wolfes Hauptquartier.
Die eigentliche Stadt war durch das wachsende Militärlager fast vollständig umringt, ganze Quadratmeilen von Zelten, die sich von der Ansiedlung am Ufer aufwärts ausbreiteten und über denen eine kleine katholische Missionsstation der Franzosen wachte, deren winziges Kreuz man vom Gipfel des Hügels hinter der Stadt gerade eben sehen konnte. Ihre französischen Bewohner hatten mit der politischen Indifferenz, die die Kaufleute der ganzen Welt auszeichnet, mit den Achseln gezuckt und waren fröhlich dazu übergegangen, den Besatzungstruppen überteuerte Preise abzuverlangen.
Der General selbst war nicht anwesend, so unterrichtete man Grey, denn er kämpfte im Landesinneren, doch er würde zweifellos im Lauf des Monats zurückkehren. Ein Oberstleutnant ohne Auftrag oder Regimentszugehörigkeit war einfach nur lästig; man wies ihm ein angemessenes Quartier zu und ließ ihn höflich stehen. Da er keine unmittelbaren Pflichten zu erfüllen hatte, zuckte er seinerseits mit den Achseln und machte sich daran herauszufinden, wo sich Hauptmann Carruthers aufhielt.
Er war nicht schwer zu finden. Gleich im ersten Wirtshaus, das Grey aufsuchte, schickte ihn der Patron zu dem Quartier, das le Capitaine bewohnte, einem Zimmer im Haus einer Witwe namens Lambert in der Nähe der Missionskirche. Grey fragte sich, ob er diese Auskunft wohl genauso bereitwillig von jedem anderen Wirt des Ortes bekommen hätte. In den Tagen ihrer Bekanntschaft hatte Charlie gern getrunken, und daran hatte sich offensichtlich nichts geändert, zumindest der herzlichen Miene des Patrons nach, als der Name Carruthers fiel. Nicht dass Grey ihm unter den Umständen Vorwürfe machen konnte.
Die Witwe – jung, mit kastanienbraunem Haar und sehr attraktiv – betrachtete den englischen Offizier an ihrer Tür mit tiefem Argwohn, doch als er im Anschluss auf seine Frage nach Hauptmann Carruthers erwähnte, dass er ein alter Freund des Hauptmanns war, entspannte sich ihre
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