Zeit der Träume
zurückgelassen. Wo hatte er sie versteckt? Mit welcher Illusion hatte er sie getrennt? Angstvoll lief sie die Treppe wieder hinauf, und im Laufen durchbrach sie den blauen Nebel um ihre Beine, der sich jedoch sofort wieder um sie schloss.
Um sich zu orientieren, trat sie an das Fenster oben an der Treppe und rieb den kalten Dunst von der Scheibe. Ihre Fingerspitzen wurden taub, aber sie konnte erkennen, dass das Gewitter draußen noch tobte. Der Regen peitschte hernieder, und ihr Auto stand in der Einfahrt, genau dort, wo sie es geparkt hatte. Auf der anderen Straßenseite lief eine Frau mit rotem Schirm und Einkaufstasche auf ein Haus zu.
Das war die Wirklichkeit, sagte sich Malory. Das war das Leben, chaotisch und manchmal unbequem. Und genau dorthin würde sie zurückgehen. Sie würde den Weg schon finden. Aber zuerst musste sie ihre Aufgabe erledigen.
Die Kälte kroch über ihre Haut, als sie sich nach rechts wandte. Sie wünschte sich, sie hätte eine Jacke, eine Taschenlampe, und ihre Freundinnen und Flynn wären bei ihr. Sie zwang sich, nicht einfach blindlings drauflos zu rennen. Der Raum war ein endloses Gewirr von Fluren.
Das war egal. Nur ein weiterer Trick, um sie zu verwirren und zu ängstigen. Irgendwo in diesem Haus war der Schlüssel. Und ihre Freundinnen. Sie würde sie finden.
Panik stieg in ihr auf, während sie weiterging. Es war still um sie herum. Ihre Schritte wurden von dem blauen Nebel verschluckt. Was war beängstigender für das menschliche Herz, als in der Kälte allein und verloren zu sein? Und das benutzte er, um ihr Angst einzujagen.
Berühren konnte er sie nur, wenn sie es erlaubte.
»Du bringst mich nicht dazu, wegzurennen«, murmelte sie. »Ich weiß, wer ich bin und wo ich bin, und du schaffst es nicht, dass ich weglaufe.«
Sie hörte jemanden ihren Namen rufen, ganz leise und von weither, und sie bog in die Richtung ab, aus der der Laut kam.
Es wurde noch kälter, und der Nebel wirbelte feucht um sie. Ihre Kleider waren feucht, und ihre Haut war eiskalt. Der Ruf konnte auch ein Trick gewesen sein, dachte sie, weil sie jetzt nichts mehr hörte als nur noch das Rauschen ihres Bluts in ihren Ohren.
Es spielte ja eigentlich auch keine Rolle, in welche Richtung sie ging. Sie konnte endlos im Kreis laufen oder einfach nur still stehen bleiben. Sie brauchte ihren Weg nicht zu finden und konnte auch nicht in die Irre geführt werden. Eigentlich ging es nur um Willenskraft.
Der Schlüssel war hier. Sie wollte ihn finden, und er wollte sie aufhalten.
»Es muss doch erniedrigend sein, sich gegen eine Sterbliche zu wehren, deine ganze Macht und dein Können an jemand wie mich zu verschwenden. Aber mehr als diesen blöden blauen Lichteffekt bringst du eh nicht zustande.«
Die Ränder des Nebels leuchteten in einem wütenden Rot auf, und obwohl Malorys Herz heftig klopfte, biss sie die Zähne zusammen und ging weiter. Vermutlich war es nicht klug, einen Zauberer herauszufordern, aber es hatte, abgesehen von der Gefahr, einen zusätzlichen Effekt.
Sie sah jetzt eine weitere Tür, wo sich die roten und blauen Lichter miteinander mischten.
Der Speicher, dachte sie. Das musste er sein. Keine illusionären Flure und Winkel, sondern die wahre Substanz des Hauses.
Sie konzentrierte sich darauf, während sie vorwärts ging.
Die wallenden Nebel ignorierte sie und behielt das Bild der Tür im Kopf.
Mit angehaltenem Atem streckte sie eine Hand durch den Dunst und schloss die Finger um den alten Glasknopf.
Wärme, willkommene Wärme überflutete sie, als sie die Tür öffnete. Sie trat in die Dunkelheit, und der blaue Nebel kroch hinter ihr her.
Draußen fuhr Flynn durch das heftige Gewitter. Angestrengt beugte er sich im Fahrersitz vor, um durch den Regenschleier, den seine Scheibenwischer kaum bewältigen konnten, die Straße zu erkennen.
Auf der Rückbank wimmerte Moe wie ein Baby.
»Na komm schon, du Feigling, das ist doch nur ein bisschen Regen.« Blitze zuckten über den nachtschwarzen Himmel, gefolgt von krachendem Donnergrollen. »Ein paar Blitze.«
Flynn packte fluchend das Lenkrad fester, als der Wagen einen Satz machte. »Und ein bisschen Wind«, murmelte er. Die Böen erreichten Orkanstärke.
Als er das Büro verlassen hatte, hatte es nur nach einem kurzen Gewitter ausgesehen. Aber mit jedem Kilometer, den er zurücklegte, wurde es schlimmer. Als sich Moes Winseln zu jämmerlichem Heulen steigerte, begann Flynn sich Sorgen zu machen, dass Malory, Dana oder Zoe, oder
Weitere Kostenlose Bücher