Zeit des Lavendels (German Edition)
Die Mutter schien das alles nicht zu bemerken. Nun, er würde jedenfalls darauf achten, diesen Kerl nicht mit der Mutter allein zu lassen.
Katharina betrachtete ihren Sohn liebevoll, wie er so neben ihr am Tisch über seinen Büchern saß. Doch seine Gedanken waren offensichtlich nicht bei den Lernaufgaben für den Tag, die sie ihm aufgegeben hatte. Der inzwischen Neunjährige lernte bei Magdalena von Hausen lesen, schreiben, rechnen und auch ein wenig Latein, wenn er nicht gerade im Stift oder zu Hause aushelfen musste. Es hatte sich herausgestellt, dass Thomas ein intelligenter Junge war. Er begriff schnell. Der früheren Äbtissin machte es Freude, ihn zu unterrichten.
»Wird Euch das nicht zu viel?«, hatte Katharina sie einmal gefragt. »Du und die deinen seid wohl die einzige richtige Familie, die ich außer meinem Bruder jemals haben werde«, hatte Magdalena von Hausen erwidert. »Lass mir also die Freude.«
Aber Katharina wusste, es steckte noch anderes dahinter. Der kleine Thomas wurde seinem Vater immer ähnlicher, wurde äußerlich immer mehr zum Ebenbild von Thomas Lei-mer.
Dann gab es noch einen zweiten Verehrer. Dieser klopfte immer wieder energisch an die Türe und begehrte Einlass. Es war Felix Bürgin, der Sohn des Segginger Schultheiß. Wenn Elisabeth die entfernte Tante war, dann war der 17-Jährige eine Art junger Onkel für die Kinder geworden, einer, der sie mit in die Wälder nahm, ihnen Gruselgeschichten erzählte, mit ihnen Unsinn anstellte. Der Bürgermeisterssohn Felix Bürgin wusste, dass Katharina ihn nicht für voll nahm und ihn für einen unreifen Knaben hielt. Aber so groß war der Unterschied an Jahren nun auch wieder nicht, hatte er sich ausgerechnet. Er würde es ihr beweisen, mit der Zeit würde sie sich schon daran gewöhnen.
Er vergaß niemals, wie sie ihn behandelt hatte, als er ihr seine Liebe gestand. Das saß wie ein Stachel in seinem Herzen. Es war ein wunderschöner Tag im Mai gewesen, die Eisheiligen waren vorbei. Katharina hatte hinter der Mauer in ihrem Garten gekniet und Salbei, Thymian und Zichorie gesetzt. Er konnte sich noch immer deutlich an den kleinen Fleck Erde unter ihrem linken Auge erinnern. Sie hatte sich mit den schmutzigen Händen wieder einmal eine Strähne des braunroten Haares aus dem Gesicht gewischt, die einfach nicht unter der Haube bleiben wollte. Dann fiel sein Schatten auf sie, und sie schaute zu ihm auf. Damals hatte sie ausgesehen wie ein junges Mädchen seines Alters. Er hatte einfach nicht anders gekonnt, war in ihren Garten gekommen und hatte sich neben sie gekniet, ein verlegener, innerlich lichterloh brennender Junge, der nicht wusste, wohin mit seinen Händen. Vor lauter Verlegenheit hatte er eine Hand voll Erde aufgenommen und ließ sie krümelweise durch die Finger hindurchrieseln, die Wangen glühten feuerrot.
»Frau Katharina, ich liebe Euch«, hatte er geflüstert. »Mehr als mein Leben. Bald werde ich für Euch sorgen können. Dann heiraten wir.«
Katharina hatte ihn nicht ausgelacht wie befürchtet. Doch sie tat etwas, das war viel schlimmer. Sie lächelte ihn liebevoll-mitleidig an und strich ihm sanft über das Haar, so wie ihrem Sohn und nicht wie einem Mann. »Ich habe schon einen Gatten«, sagte sie dann. »Einen, zu dem ich gehöre und immer gehören werde«, hatte sie leise hinzugefügt, so, dass er es kaum hören konnte. Dann wandte sie sich ruhig wieder ihrer Arbeit zu. Diese Bewegung wirkte auf ihn so endgültig, dass es Felix wie ein Messer ins Herz stach.
»Nun, vielleicht kommt er ja nicht zurück. Dann werde ich da sein. Ich bin jung, ich kann warten.« Er war selbst erstaunt über die fast bewusste Grausamkeit dieser Sätze.
Doch wieder hatte Katharina ihn nur ganz ruhig angeschaut und sich dann von neuem auf ihre Kräuter konzentriert.
Katharina sah Magdalena von Hausen nun nicht mehr allzu oft. Es gab einfach zu viel Arbeit für sie. Die offensichtliche Unterstützung durch Agatha Hegenzer von Wasserstelz hatte dafür gesorgt, dass immer mehr Menschen kamen, um ihre Hilfe zu suchen. Manche klopften mit verlegenen Gesichtern an ihre Türe. Doch Katharina machte nie eine Anspielung, auch wenn sie in einem ihrer Patienten einen von jenen erkannte, die sie einst als Hexe auf den Scheiterhaufen hatten bringen wollen. Die meisten waren glücklich darüber, dass sie nicht an ihr schlechtes Gewissen rührte, und vergaßen die Vorfälle von damals bereitwillig.
Auch die Hegenzerin brauchte ihre Dienste oft. So zäh
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