Zeit Des Zorns
herausgefordert wird, ist es der Staat, der gewinnt.« 245
Ausgerechnet diese Schule wurde gleich am ersten Tag, am Donnerstag, dem 14. Juni 2001, von der Polizei umstellt und angegriffen. Gegen 11 Uhr, nicht zufällig zu genau dem Zeitpunkt, als US-Präsident George W. Bush in Göteborg eintraf, umstellten 300 Polizisten – bis an die Zähne bewaffnete »Riotcops«, Reiterstaffeln und Hundeeinheiten – die Schule. In jenem Moment hielten sich dort mindestens 500 Gipfelgegner auf. Viele bereiteten sich gerade darauf vor, gegen Bush zu demonstrieren. Manche wollten ihm als ihre schärfste Waffe ihren nackten Hintern zeigen, das nannten sie »mooning to Bush«. Eine weitere Provokation – in den Augen der Polizei – schienen die Selbstschutzmaßnahmen der gewaltfreien spanischen Gruppe Ya Basta zu sein. Sie umwickelten empfindliche Körperteile zum Schutz vor möglichen Polizeiknüppeln mit allerlei Pappen und Schaumstoffen. Die Polizei nennt so was gern »passive Bewaffnung«. Man muss den Frust eines Polizisten verstehen, der auf einen Schädel schlägt, aber der platzt und blutet nicht …
Wer aus der Hvitfeldtska-Schule zu fliehen versuchte, auf den ritt die Polizei mit Pferden los oder hetzte ihre Hunde. Nach einiger Zeit entschieden die Eingeschlossenen, einen kollektiven Ausbruch zu wagen, dabei aber defensiv vorzugehen, einfach immer wieder beharrlich mit einer Masse von Leuten gegen die Polizeiketten zu drücken. Aber als sie dann merkten, dass das vergeblich war, gaben sie auf und zogen sich in die Schule zurück. Ein Polizist behauptete später vor Gericht, die Demonstranten hätten durch ihren Rückzug die Polizei in eine Falle locken wollen, um sie im großen Stil »totzuschlagen«.
Immer wieder versuchten die Eingeschlossenen auszubrechen. Die Polizei umstellte die Schule mit Transportcontainern. Ein paar sportlichen Leuten gelang es, über die Dächer der Container zu fliehen. Als gegen Abend mehrere größere Gruppen erneut auszubrechen versuchten, stürmte die Polizei die Schule und verletzte etwa hundert Menschen. Sie sperrte die meisten in Gefangenenbusseund verweigerte ihnen, nach der stundenlangen Freiheitsberaubung, erneut ihre Grundrechte. Niemand durfte einen Anwalt anrufen. »Sicherheitshalber« zerschlug die Polizei die Scheiben von Autos auf dem Parkplatz der Schule. Die Workshops und der Gegengipfel mussten ausfallen. Währenddessen demonstrierten 12 000 bis 15 000 Menschen in der Stadt, wo sich die Informationen über den Polizeiüberfall auf die Schule rasch verbreiteten. Viele versuchten, den Eingeschlossenen zu Hilfe zu kommen. Die Polizei rechtfertigte später ihr Vorgehen damit, dass in der Schule Straftaten vorbereitet worden sein sollen. Beweise legte sie nie vor.
* * *
Ein junger Göteborger wohnte zusammen mit seiner Freundin und zwei Katzen im Stadtteil Biskopgården. Er arbeitete in der häuslichen Pflege. Er hatte eine Zahnoperation hinter sich und konnte nicht mitdemonstrieren. Aber etwas wollte auch er tun, also meldete er sich für das Infotelefon.
Infotelefone sind eine verbreitete und notwendige Sache bei großen Demonstrationen, sie gehören seit Jahrzehnten zu vielen Protestaktionen, auch sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen. Bei einer der Vorbereitungssitzungen für die Anti-EU-Gipfel-Aktionen wurde, wie für andere Arbeiten auch, öffentlich für die Mitarbeit beim Infotelefon geworben. So fand sich eine kleine Gruppe aus 18- bis 23-Jährigen, darunter der junge Mann aus Göteborgs Biskopgården. Wie immer wurden Telefonlisten angelegt, wer im Falle wichtiger Ereignisse per SMS benachrichtigt werden sollte. Die Listen hingen in der Hvitfeldtska-Schule offen aus, allein acht Telefonnummern gehörten den Mitarbeitern eines Dokumentationsfilmers. Jeder konnte sich eintragen.
Der Standort der Infozentrale war eine gewöhnliche Wohnung in einem Vorort. Die jungen Leute schliefen in Schlafsäcken. Der einzige Computer stand auf dem Couchtisch. Ein Polizeiexperte sagte dem Gericht später, auf dem Computer habe man ein spezielles Programm zum Versenden von SMS gefunden sowie ein Programm zur Verschlüsselung der Festplatte. Aber auf Nachfragen der Verteidiger musste der »Experte« zugeben, dass das SMS-Programmkostenlos zu haben war und mehrere Millionen Menschen es weltweit benutzten, und dass das Verschlüsselungsprogramm von jener Art war, welche die EU ihren Bürgern zum routinemäßigen Einsatz empfahl.
Als die Aktionstage am Donnerstag begannen, bezog
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