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Zeit Des Zorns

Zeit Des Zorns

Titel: Zeit Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ditfurth
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das Infotelefon von überallher Informationen, hörte den Polizeifunk ab und gab die aktuellen Informationen an alle Interessierten weiter. Als die Hvitfeldtska-Schule überfallen wurde, riefen viele der Eingeschlossenen mit ihren Handys um Hilfe. Das meldete das Infotelefon natürlich weiter und verband die Information mit dem Aufruf, zur Schule zu gehen und den Eingeschlossenen zu helfen. Das Infotelefon verschickte, bis es von der Polizei überfallen wurde, nur zehn SMS-Nachrichten. Eine SMS lautete: »Wir brauchen Solidarität mit unseren Genossen in der Schule. Die Polizei hat Probleme, die Stellung zu halten, sie sind müde und hungrig.« Eine andere: »Menschen bereiten sich auf Verteidigung der Hvitfeldtska vor. Polizei sind zu wenige. Alle dorthin zum Helfen ihrer Genossen! Weiterverbreiten!«
    In dieser Nacht zum Freitag stürmten maskierte Polizisten mit automatischen Waffen die Wohnung des Infotelefons. Zwölf Leute wurden verhaftet, unter ihnen der junge Pfleger. Er stand unter schwerem Schock, als sie ihn in das Gefängnis in Alingsås einlieferten. Der Leiter des ersten Verhörs sagte ihm, dass er zehn Jahre Gefängnis für Sabotage und Anstiftung riskiere. »Was?«, fragte der junge Mann entgeistert, »glaubst du, dass ich ein Terrorist bin?« Die Antwort: »Ich glaube, dass du ein feiges, ekliges Schwein bist, das andere auf der Straße die grobe Arbeit machen lässt.«
    Vier SMS wertete der Staat als Aufforderung zum Handeln und als Aufruf zu gewalttätigen Übergriffen auf die Sicherheitskräfte. Was war so geheimnisvoll und kriminell an diesen SMS? Jeder in der Schule, der ein Mobiltelefon hatte, rief um Hilfe. In den Straßen Göteborgs verbreitete sich die Nachricht auch auf anderen Wegen. Aktivisten informierten durch Megaphone und riefen alle dazu auf, den Eingeschlossenen in der Schule zu Hilfe zu kommen.
    Nur einer der SMS-Empfänger konnte identifiziert werden, ein 20-Jähriger. Der hatte um 14:46 Uhr, mehrere Stunden nach Beginndes Polizeiangriffs auf die Schule, den Hilferuf empfangen. Weitere vier Stunden später soll er in der Demonstration durch »winkende Handbewegungen« die Menschenmenge dazu aufgefordert haben, zur Schule zu gehen. Nichts weiter. Er hatte keinen Stein geworfen, keinen Polizisten angegriffen, nicht mal einen Papierkorb angezündet. Die Staatsanwaltschaft setzte sich mit ihrer Auffassung durch, dass das Infotelefon mit Hilfe des jungen Manns einen »våldsamt upplopp«, einen »gewalttätigen Aufruhr« (vergleichbar dem deutschen »besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs«, § 125a Strafgesetzbuch), gesteuert habe.
    Der Vorwurf des »våldsamt upplopp« bzw. des Landfriedensbruchs war in der schwedischen wie in der deutschen Geschichte immer politisch umstritten, weil der Staat mit ihm politische Oppositionelle unverhältnismäßig willkürlich und übermäßig hart bestrafen kann. Mit der EU gleichen sich diese Repressionsgesetze über die Grenzen hinweg an. »Landfriedensbruch«, sagt das deutsche Strafgesetzbuch (StGB), bezeichnet »Gewalttätigkeiten gegen Menschen und Sachen« aus einer Menschenmenge heraus. Schon das »Einwirken« auf diese Menschenmenge, »um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern« – was immer das sein mag: ein Winken? Ein Lachen? Eine Rede? –, kann mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft werden (§ 125 StGB).
    Für den »besonders schweren Fall«, der mit Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren geahndet werden kann, muss ein Täter eine Waffe mit sich führen, einen anderen in Todesgefahr versetzen oder, sonderbare Gleichsetzung von Menschen und Sachen, »bedeutenden Schaden an fremden Sachen« anrichten (§ 125a StGB). Nichts davon traf hier zu. Der junge Mann wurde zu zweieinhalb Jahren Gefängnisstrafe verurteilt. Während des Prozesses bildete sich die Solidaritätsgruppe Föräldrar 2001 (Eltern 2001). Sie sagten: Auch wir haben dazu aufgerufen, den Leuten in der Schule zu Hilfe zu kommen, wir zeigen uns jetzt selbst an. Viele taten es ihnen nach.
    * * *
    Auch am zweiten Tag des Gipfels, am Freitag, brach die Polizei erneut alle Absprachen, als eine große Demonstration in RichtungTagungsort zu ziehen versuchte. Nach den vorangegangenen Ereignissen wollten die Demonstranten sich dieses Recht nicht nehmen lassen. Etwa 15 000 Menschen – oder waren es mehr? – und ein Meer von Fahnen. Die Polizei versuchte keinen Augenblick zu deeskalieren oder die Demonstration nur abzudrängen. Eine Pferdestaffel ritt in

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