Zeit Des Zorns
ökonomische Globalisierung (INPEG), ein Zusammenschluss vor allem junger Leute, koordinierte die Aktionswoche des Widerstandes. Wie in Seattle spielte das Interneteine große Rolle bei der Mobilisierung und der gegenseitigen Information. Das war auch dringend nötig, denn die tschechische Regierung führte in den Wochen vor der Konferenz einen Medienkrieg gegen die Demonstranten. Die Prager Regierung wollte der Welt zeigen, dass sie Ruhe und Ordnung durchsetzen konnte. Bloß keine Wiederholung des verlorenen »battle of Seattle«!
Das tschechische Gesundheitsministerium riet Krankenhäusern allen Ernstes, sich auf Angriffe mit chemischen und biologischen Waffen einzustellen. Man empfahl der Bevölkerung, sich zu Hause einzuschließen, Türen und Fenster gegen die »Barbaren« zu verrammeln, Lebensmittelvorräte anzulegen und Kinder und alte Leute aufs Land zu schicken. 242
Viele IWF- und Weltbank-Gegner wurden schon an der tschechischen Grenze abgewiesen. Einem Sonderzug mit 1 000 italienischen Aktivisten wurde anfangs die Einreise verweigert. Polizisten filmten aus Hubschraubern jede größere Menschenansammlung in Prag. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen, mindestens 70 Demonstranten wurden verletzt. Am Abend lobte der tschechische Innenminister Stanislav Gross die Arbeit der Sicherheitskräfte.
Dennoch drangen etwa 20 000 Demonstranten bis zum Tagungszentrum der Weltwährungskonferenz vor. Die Demonstranten kamen auch aus Indien, Brasilien, Griechenland, Spanien, Italien, Norwegen und Deutschland. Es waren Gewerkschafter, Bauern, Landlose, Linke verschiedenster Couleur. Die etwa 10 000 Konferenzteilnehmer, unter ihnen auch Finanzminister und Notenbankchefs, kamen nicht mehr hinaus. U-Bahn und Pendelbusse stellten am Nachmittag den Betrieb ein. Zuvor hatte es wieder massive Polizeiübergriffe gegen Demonstranten gegeben. Im Einsatz waren 11 000 Polizisten und 5 000 Soldaten, als wäre Krieg.
Die Weltbank brach ihr Treffen einen Tag früher als geplant ab. Einige Delegierte fühlten sich nicht mehr sicher. »Wir sehen es als Erfolg an, dass sie die Stadt so schnell wie möglich mit eingezogenen Schwänzen verlassen«, sagte ein Aktivist der INPEG selbstbewusst.
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Nach Prag wurde der schon länger schwelende Konflikt zwischen den verschiedenen Strömungen der Gipfelgegner noch deutlicher. Viele der NGOs, die an den Protesten gegen die Gipfel teilnehmen, wollen lediglich eine »Reform« von IWF und Weltbank, nicht deren Abschaffung. Manche sind nicht einmal gegen den Kapitalismus, sie wollen nur seine Modernisierung. Deshalb sind diese Gruppen in weiten Kreisen der internationalen Protestbewegung auch so unbeliebt. Viele trauen ihnen nicht, denn allzu häufig wechseln ihre Repräsentanten zur Gegenseite über, werden Politikberater oder Abgeordnete bürgerlicher Parteien. Attac gehört eher zu den linkeren NGOs und will doch nichts als eine Steuerreform. Eines der jüngeren Beispiele der Integration ins System ist der Übertritt des Mitgründers von Attac Deutschland, Sven Giegold, zu den Grünen und seine blitzschnelle (erfolgreiche) Kandidatur für das Europaparlament. Viele andere angeblich oppositionelle NGO-Funktionäre beziehen für ihre »konstruktive« Arbeit Gelder aus dem Staatshaushalt oder von Parteistiftungen.
Längst haben Weltbank und IWF begriffen, wie günstig eine Spaltung des Widerstandes ist – in die »vernünftigen« und »konstruktiven« auf der einen und die »unvernünftigen«, »destruktiven« Widersacher auf der anderen Seite. Wenn es um korrumpierende Angebote geht, haben nicht nur Parteien, Parlamente und Regierungen großes Potenzial, sondern auch die Weltbank und der IWF: Fonds, Stiftungen, Aufträge, Jobs und – vielleicht am wirksamsten – Reputierlichkeit, also die falsche Art der sozialen Anerkennung.
Aber es gab in Prag auch radikalere Vertreter der NGOs wie Walden Bello, den philippinischen Soziologieprofessor und internationalen Menschenrechtsaktivisten. Er diskutierte gemeinsam mit zwei anderen NGO-Vertretern auf Einladung des tschechischen Präsidenten Václav Havel auf einer öffentlichen Veranstaltung auf der Prager Burg. Auf der Gegenseite saßen Horst Köhler, damals der geschäftsführende IWF-Direktor, James Wolfensohn, Präsident der Weltbank, der US-Investor George Soros und der südafrikanische Finanzminister Trevor Manuel. Walden Bello spottete: »Ich hätte ja nie gedacht, dass ich jemals so dicht beiJames Wolfensohn sitzen würde. Das ist es
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