Zeit Des Zorns
Sie warfen ihn mit dem Kopf voraus auf die Straße, stellten sich auf ihn und rauchten, während sein Blut auf den Asphalt floss.
Ein deutsches Studentenpärchen hatte sich in der Schule in einem Putzschrank versteckt. Den Mann zogen sie heraus und schlugen auf ihn ein. Die Frau floh auf die Toilette. Die Polizisten zogen sie an ihren Dreadlocks auf den Flur, umstellten sie wie Hunde ein Kaninchen und schlugen sie auf den Kopf, traten sie in den Brustkorb, bis sie glaubte, dass er brach. Man lehnte sie an die Wand, einer hieb sein Knie in ihren Unterleib, sie sank auf den Boden, sie schlugen weiter. Sie sprühten Schaum aus einem Feuerlöscher in ihre Wunden, dann zogen sie sie an den Haaren, den Kopf voran, die Treppe hinunter, wo andere Menschen in Blutpfützen und Exkrementen lagen. Sie warfen die junge Frau auf zwei Menschen, die sich nicht mehr bewegten und die nicht antworteten, als die junge Frau flüsternd fragte, ob sie noch lebten. Sie konnte sich nicht rühren, ihre Extremitäten zuckten, Blut lief aus ihren Kopfwunden. Eine Gruppe von Polizisten kam vorbei, blieb bei ihr stehen, und wie in einem Ritual nahmen sie einer nach dem anderen die Masken von ihren Gesichtern, bückten sich und spuckten ihr ins Gesicht.
Kameras nahmen später auf, wie blutüberströmte, regungslose Menschen auf Krankenliegen aus der Schule geschafft wurden. Die Polizisten erzählten Passanten und Medien, es habe einen militanten Angriff auf sie gegeben. 62 G8-Gegner kamen ins Krankenhaus, manche waren sehr schwer verletzt, mehrere lagen im Koma, Mark Covell für zwei Tage. Drei Verletzte schwebten in Lebensgefahr. 28 Demonstranten mussten stationär aufgenommen werden. Einer 20-jährigen Deutschen waren alle oberen Zähne ausgeschlagen worden. In der Schule fand man später, zwischen all den Blutlachen und Überresten, auch Zähne samt Wurzel.
Sanitäter der Tute Bianche und des Rote-Kreuz-Pflegepersonals hatten vor dem Gipfel davor gewarnt, sich ins Krankenhaus einliefernzu lassen, denn die Polizei hatte es so organisiert, dass alle verletzten Demonstranten in die Universitätsklinik San Martino transportiert werden sollten. So wenig spontan waren die Überfälle der Polizei gewesen. Man hatte ja noch mehr mit den Gipfelgegnern vor.
Noch auf den Fluren des Krankenhauses bewachten und bedrohten die Polizisten ihre Opfer. Sie verboten ihnen, aus dem Fenster zu sehen. Untersagten jede Bewegung. Klopften ungeduldig mit ihren Knüppeln in ihre behandschuhten Hände. Fesselten einige Verletzte mit Handschellen und verschleppten dann die meisten, noch bevor überhaupt alle medizinisch versorgt waren, zur nächsten Station, in eine Folterkaserne.
In diesen Tagen des G8-Gipfels, während die Repräsentanten der EU-Staaten sich feierten, wurden etwa 360 Menschen in die Kaserne Nino Bixio der mobilen Abteilung der Staatspolizei in Bolzaneto verschleppt, und 222 von ihnen wurden nachweislich gefoltert, wie der Staatsanwalt Enrico Zucca später herausfand. Alte und junge G8-Gegner, auch Minderjährige, Frauen und Männer, Menschen aus verschiedenen Ländern und mit ganz unterschiedlichen Berufen und sozialer Herkunft. Die Folterkaserne war von Freitag bis Sonntag in Betrieb, vom 20. bis zum 22. Juli. Wer »Glück« hatte, war den Staatsterroristen »nur« zwölf Stunden ausgeliefert, andere verschwanden hier für 30 Stunden.
Neu Festgenommene wurden mit farbigen Filzstiften im Gesicht markiert. Sie mussten Spaliere von Wärtern durchlaufen, die sie bespuckten und auf ihre Köpfe einprügelten. Die brüllten: »Wer ist der Staat? Die Polizei! Wer ist der Chef? Mussolini!« oder »Willkommen in Auschwitz«. Die Polizisten sangen Lobgesänge auf Mussolini und auf Pinochet: »uno – due – tre, viva Pinochet, quatro – cinque – sei, morte agli ebrei« [»eins – zwei – drei, es lebe Pinochet, vier – fünf – sechs, Tod den Juden«]. Ein Gefangener musste sich ausziehen, nackt auf allen vieren kriechen und rufen: »Viva la polizia italiana!« Ein anonym gebliebener Polizist erzählte der italienischen Zeitung La Repubblica , dass er beobachtete, wie seine Kollegen auf Gefangene urinierten und auf sie einschlugen, als die sich weigerten, das faschistische Kampflied »Faccetta Nera« zu singen.
Man zwang die Gefangenen zu unterschreiben, dass sie auf ihre Rechte verzichten, dass sie niemanden anrufen würden. Schnitt ihnen, wenn sie sich weigerten, mit einem Messer ganze Haarbüschel ab und drohte, ihnen die Kehle aufzuschlitzen.
Weitere Kostenlose Bücher