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Zeit Des Zorns

Zeit Des Zorns

Titel: Zeit Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ditfurth
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Juli 2012 zehn Genua-Demonstranten wegen »Plünderung und Verwüstung« für schuldig. Dieser Straftatbestand der »Plünderung und Verwüstung« entstammt dem faschistischen Strafkodex Rocco des Mussolini-Regimes, welches es Richtern ermöglicht, Sachbeschädigungen zu »Verwüstungen« aufzublähen und Einzelne für Vorkommnisse verantwortlich zu machen, die von vielen verursacht wurden. Er ist in seiner politischen Willkür dem Vorwurf des »schweren Landfriedensbruchs« in Deutschland vergleichbar.
    Zusätzlich wurde den Verurteilten vorgeworfen, den Ort des Geschehens nicht verlassen zu haben. Marina (verurteilt zu 12 Jahren und 3 Monaten) und Alberto (10 Jahre) haben ihre Haft angetreten. Francesco (14 Jahre) und Vincenzo (13 Jahre) sind untergetaucht. Ines (6 Jahre und 6 Monate) hat vor kurzem ein Baby bekommen, sie erhielt vorerst Haftverschonung. Keinem von ihnen wurde Gewalt gegen Polizisten vorgeworfen. Ihnen wurde lediglich zur Last gelegt, dass sie einen Schinken aus einem geplünderten Supermarkt getragen, einen Geldautomat zerstört oder einen Molotowcocktail in ein Fenster des örtlichen Gefängnisses geworfen hatten. Die Tageszeitung Il Manifesto rechnete aus, dass schwerer Raub, Erpressung oder Mitgliedschaft in der Mafia mit geringeren Strafen geahndet werden.
    Die Strafen der anderen fünf angeklagten Demonstranten (Haftstrafen zwischen 7 und 11 Jahren) werden noch von einem Revisionsgericht überprüft.
    Die 400 Beamten, die die Menschen in der Diaz-Schule krankenhausreifund ins Koma geprügelt hatten, blieben ansonsten unbestraft.
    Carabiniere Mario Placanica wurde 2003 freigesprochen, weil er Carlo Giuliani »in legitimer Notwehr« erschossen haben soll. Die Richterin betrachtete die These der Staatsanwaltschaft als bewiesen, dass die Kugel Placanicas von einem »fliegenden Stein« abgelenkt worden sei und Giuliani in den Kopf getroffen habe. Im August 2009 bestätigte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg das Urteil der italienischen Justiz. Die europäischen Richter stellten im Urteil fest, dass es nicht zu Verletzungen der Menschenrechte gekommen sei. Nach einer erneuten Beschwerde der Familie Giuliani entschied der EGMR, dass mit dem Todesschuss auf Carlo Giuliani auch kein Grundrecht der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt worden sei.
    Freigesprochen wurde auch Carabiniere Filippo Cavataio, der den Polizeijeep zweimal über den sterbenden Carlo Giuliani gefahren hatte.
    Von den staatlichen Folterern aus der Polizeikaserne Bolzaneto wurden zwar 45 Polizisten, Mediziner und Aufseher wegen Amtsmissbrauchs, Nötigung und Misshandlung angeklagt und 15 von ihnen 2008 zu Haftstrafen zwischen fünf Monaten und fünf Jahren verurteilt, aber am Ende blieben alle in Freiheit, ihre Taten gelten als verjährt.
    Der damalige Polizeichef von Genua, Gianni De Gennaro, wurde freigesprochen, blieb bis 2007 im Amt und ist derzeit als Staatssekretär für den Geheimdienst zuständig.
    Kein Politiker wurde je zur Rechenschaft gezogen.
    Es gibt nach wie vor kein Folterverbot im italienischen Strafgesetzbuch.
    Der Strafcodex Rocco wird weiter angewandt.
    Das sind insgesamt günstige Voraussetzungen dafür, dass sich lebensgefährliche Attentate von Seiten des Staates auf Linksoppositionelle wiederholen können. 276
    * * *
    Über all die Jahre wurde die Erinnerung an die Ereignisse von Genua wachgehalten, von den Opfern, von politischen Organisationen,von Carlo Giulianis Eltern, von demokratischen Juristen, von kritischen Journalisten. Es gab immer wieder große Solidaritätsdemonstrationen. Gäbe es all diese Menschen nicht, gäbe es wenig Hoffnung.
    Nur wenige große europäische Medien haben die Bedeutung der Ereignisse von Genua damals verstehen können oder wollen. Das stimmt für die Zukunft bedenklich. Zu diesen viel zu wenigen kritischen Medien gehörte die englische Zeitung The Guardian :
    »Zweiundfünfzig Tage nach dem Angriff auf die Diaz-Schule benutzten 19 Männer Flugzeuge, voll mit Passagieren, als fliegende Bomben und verschoben unsere Grundannahmen, auf denen das Fundament westlicher Demokratien beruht. Seitdem haben Politiker, die sich selbst niemals als Faschisten bezeichnen würden, das umfassende Abhören von Telefonaten erlaubt, das Ausspähen von E-Mails, Haft ohne Gerichtsverfahren, systematische Folter, das scheinbare Ertränken von Häftlingen, unbegrenzten Hausarrest und das gezielte Töten Verdächtiger, während das Auslieferungsverfahren

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