Zeit Des Zorns
machten sogar eine steile Karriere. So etwa Giovanni De Gennaro, während des Gipfels Polizeichef Italiens. 2007 wurde er, auch weil er wegen des Vorgehens gegen die Gipfelgegner noch in der öffentlichen Kritik stand, vom damaligen Ministerpräsidenten Romano Prodi abgesetzt. Aber die Regierung Berlusconis ernannte ihn im Mai 2008 zum Koordinator der italienischen Nachrichtendienste. 273
Francesco Gratteri war einer der Anführer des Massakers in der Diaz-Schule. Damals Chef der SCO, einer Sondereinheit der Bereitschaftspolizei, stieg er auf zum Leiter der nationalen Anti-Terror-Einheit und wurde dann Polizeichef in Bari.
Nie wurde, wie unzureichend auch immer, »erklärt«, wie es zu Tod, Folter und Massaker kommen konnte. Dafür wurden die Opfer mit einer Flut von erfundenen Beschuldigungen überschüttet und dafür Berge von Falschaussagen und gefälschten Protokollen konstruiert. Es dauerte Jahre, bis dieser Dschungel aus Lügen durchdrungen war.
Die Hauptbotschaft an die italienische Polizei und an die Carabinieri ist: Der Staat steht hinter euch. Es geht nicht mehr nur um eine »Suspendierung des Rechtsstaates«, wie Amnesty International kritisierte. 274 Denn ein Rechtsstaat ist auch dadurch definiert, dass er nicht ausgesetzt werden kann. Die unmissverständliche Botschaft von Genua war: Dieser europäische Staat, und nicht nur dieser, verwandelt sich seit Jahren in eine Diktatur.
* * *
Mark Covell, der englische Journalist, sagt: »Ich verlor die besten Jahre meines Lebens.« Er leidet heute an posttraumatischem Stress. Seine Gesundheit ist angegriffen. Er musste mehrmals operiert werden. »Ich werde wegen der physischen Folgen zehn Jahre früher sterben, als ich müsste. Wir wurden von unseren europäischen Regierungen verurteilt und verleugnet.« Und: »Wirwollen, dass die italienische Regierung ein Anti-Folter-Gesetz beschließt, und wir wollen eine öffentliche Untersuchung. Wir wollen den Krebs des Faschismus aus der Polizei schneiden.« 275
Aber er sagt auch, dass er es nicht bereut hat, in Genua gewesen zu sein.
Das Kassationsgericht in Rom bestätigte am 5. Juli 2012 die Urteile gegen 25 Polizeikräfte, die am Überfall auf die Diaz-Schule beteiligt waren. Ein Film belegte, dass sie den Molotowcocktail in der Schule deponiert hatten, nicht die Demonstranten. Es konnte ihnen außerdem nachgewiesen werden, dass sie selbst einen Messerangriff auf einen Polizeikollegen inszeniert hatten. Sie wurden wegen Körperverletzung, Verleumdung und Falschaussage im Amt zu Strafen von drei Jahren und acht Monaten bis zu fünf Jahren verurteilt. Aber keiner von ihnen muss in Haft, dafür sind zwischenzeitlich passende Strafnachlässe beschlossen worden. Ihre Reststrafen sind verjährt. Trotz laufender Ermittlungen waren die Beamten mehrfach ausgezeichnet und befördert worden. Jetzt verlieren sie ihre Führungspositionen und dürfen für fünf Jahre keine öffentlichen Ämter mehr bekleiden – vorläufig.
Verurteilt wurden:
Franceso Gratteri, Vizechef der italienischen Polizei, 2001 Chef der Direzione Centrale Anticrimine (»Kriminalpolizei« – Teil der Polizia di Stato), designierter nächster Polizeichef Italiens – zu vier Jahren.
Gilberto Caldarozzi, Leiter des Servizio Centrale Operativo (»Zentrale Einsatzeinheiten«, Bereitschaftspolizei), 2001 war er Stellvertreter von Gratteri – zu drei Jahren und acht Monaten.
Giovanni Luperi, Leiter der Analyse-Abteilung des Inlandsgeheimdiensts AISI und der Anti-Terror-Einheiten. Ex-Vizechef des UCIGOS (Zentrale Koordination der politischen Polizeiabteilungen) – zu vier Jahren.
Vincenzo Canterini, 2001 Leiter des römischen Reparto Mobile (Sondereinsatzkommando für Demonstrationen) – zu fünf Jahren.
Spartaco Mortola, Ex-Chef der DIGOS-Einheiten von Genua (»Staatsschutz«) – und weitere.
Die italienische Innenministerin Annamaria Cancellieri war betrübt: »Wir zahlen einen sehr hohen Preis, denn wir verlieren einige unserer besten Männer. Wir müssen jetzt neu anfangen und nach vorne blicken. […] Es wird schwer, sie zu ersetzen, aber das Urteil muss respektiert werden.«
Aber die Polizeifunktionäre und Polizisten wissen natürlich, dass sie sich fest auf Teile des Staatsapparates und der politischen Klasse stützen können. Wer, noch dazu im Namen des Staates, Schädel zerbricht und Zähne ausschlägt, wer foltert und demütigt, kommt frei. Wer einen Stein wirft, muss für Jahre in den Knast.
Der Oberste Gerichtshof Italiens sprach am 17.
Weitere Kostenlose Bücher