Zeit für Eisblumen
verdienst fast nichts. Mein Geld reicht nicht für Miete, Versicherungen, Pauls Babynahrung. Und weißt du, wie viel der neue Auspuff von meinem Auto gekostet hat?“
„Unser Geld reicht sehr wohl für alles. Unser Geld reicht nur nicht für Designerkleider und einen Promikinderwagen. Und der Auspuff vom Auto hätte nur die Hälfte gekostet, wenn du statt eines Mini-Cabriolets einen Opel oder Ford fahren würdest. Dort würden auch der Kinderwagen und unsere Einkäufe besser hineinpassen.“
Ich schwieg. Sam ließ sich auf den Küchenstuhl sinken.
„Ich weiß überhaupt nicht, was in letzter Zeit mit dir los ist.“ Er klang resigniert.
„Ich weiß es auch nicht.“ Ich begann zu schluchzen. „Ich liebe Paul, wirklich, aber seitdem er auf der Welt ist, ist mein Leben ein einziges Chaos.“
„Oh ja. Ein einziges Chaos“, wiederholte Sam zynisch. „Du hast ein gesundes Kind, eine nette Familie und immer noch genug Geld, um dir teure Kleider und ein Cabrio zu leisten. Du bist zu bedauern, du Arme.“
„Und du bist unfair.“ Hektisch stapelte ich die sauberen Teller auf der Arbeitsplatte aufeinander. „Du weißt genau, wie schlecht es mir nach Pauls Geburt gegangen ist.“
„Ja, dir ist es schlecht gegangen.“ Sams Stimme ließ jegliche Emotion vermissen. „Weil du nicht mehr so lange schlafen konntest, wie du wolltest. Weil du dein Geld auf einmal teilen musstest. Weil du nicht mehr jedes Wochenende auf irgendwelchen Promi-Events rumhängen konntest.“
Ich schaute ihn fassungslos an. „Ich hatte eine Menge Blut verloren.“
Sam lachte auf. „Ja, nach der Geburt der Blutverlust, die Brustentzündungen und deine anderen Wehwehchen und jetzt die Panikattacken. Das alles kaufe ich dir nicht mehr ab. Soll ich dir sagen, was dein einziges Problem ist?“
„Lass mich an deinem Wissen teilhaben!“, sagte ich sarkastisch.
Sams Gesicht näherte sich meinem, bis es nur noch wenige Zentimeter davon entfernt war. „Das einzige Problem, das du hast, ist, dass du dich das erste Mal in deinem Leben um einen anderen Menschen als dich selbst kümmern musst. Und damit kommst du nicht klar.“
Ich wich zurück. Starrte auf Sam, dann auf den Teller in meiner Hand. Überlegte, ob ich ihn in sein blasiertes Gesicht werfen sollte, um nicht selbst zu zerbrechen. Doch meine Wut war fort. In mir nur noch Leere. Ich stellte ihn auf den Tisch.
„Verschwinde!“, sagte ich so ruhig wie möglich. „Hau ab! Ich ziehe zu meinen Eltern. Und bis ich Mitte Januar wieder arbeiten muss, hast du dir eine eigene Wohnung gesucht. Ich will dich nicht mehr sehen.“
„Du schmeißt also alles hin? Einfach so?“
„Ja“, antwortete ich müde. „Aber nicht einfach so. Wir tun uns schon seit einer ganzen Weile nicht mehr gut.“
„Ich habe es doch gewusst, dass dir dieser Kerl nicht das Wasser reichen kann“, sagte Vater, als ich kurz darauf mit bleichem Gesicht und Paul auf dem Arm vor der Tür stand, um das zweite Mal innerhalb kürzester Zeit in Marzling Asyl zu suchen. Anscheinend war er gerade vom Golfspielen zurückgekommen, denn er trug noch den Pullunder, die seltsamen Schuhe und die unsagbar alberne Mütze, die man sich kaufen musste, wenn man kaschieren wollte, dass man ein Handicap hatte, das über 18 lag.
„Ich könnte in eure Wohnung fahren und ihm tüchtig die Meinung sagen.“ Er ließ ein paar Mal seinen Schläger an meinem Ohr vorbeizischen.
„Das Angebot ist sehr nett von dir. Aber ich war es doch, die ihn verlassen hat.“ Ich presste die Lippen zusammen.
Mein Vater drückte mich unbeholfen an sich und verschwand unter die Dusche. Er hatte schon immer besser mit Taten als mit Worten trösten können.
Milla reagierte erfreulicherweise ganz anders, als ich erwartet hatte. Ich musste weder eine Engelkarte ziehen noch pendelte sie aus, ob meine Entscheidung richtig gewesen war. Sie kochte mir nur eine große Tasse Entspannungstee und packte mich mit einer Wärmflasche ins Bett. Dann strich sie mir kurz über den Kopf, legte eine Entspannungs-CD ein und zog die Tür hinter sich zu.
Normalerweise mochte ich es nicht, wenn Paul bei mir im Bett lag. Er schlief unruhig, zuckte zusammen und stieß mir ständig einen Arm oder einen Fuß ins Gesicht. Doch an diesem Abend hob ich ihn aus seinem Reisebett heraus, nahm ich ihn mit unter meine Decke und presste meinen Körper eng an seinen. Warum war ich nur so impulsiv gewesen? Hatte Sam rausgeschmissen. Ihm gesagt, dass alles aus sei. Ich hätte mir eine Auszeit
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