Zeit für Eisblumen
entzückt.
Gleich, nachdem sie das Zimmer von bösen Energien befreit und ihre Steine unter das Bett gelegt hatte, verteilte sie ihre Kosmetikutensilien auf der spiegelnden braunen Oberfläche. „Trotzdem hätte ich ein Hotel bevorzugt, das etwas mehr im Zentrum von Kylebrack liegt.“
Ich lehnte mit Paul am Fenster und blickte in die untergehende Sonne, die wie ein ausgefranster Ball über den Baumwipfeln hing. Milla hatte recht. Hier war überhaupt nichts los. Zwei Kühe standen träge auf einer Wiese vor dem Haus, eine Katze lauerte im Schatten eines Schuppens auf eine Maus und an der Horizontlinie konnte man die Dächer einer Häusergruppe sehen. Ansonsten Landschaft, so weit das Auge reichte.
„Aber im Internet hat der Pub wirklich gute Bewertungen bekommen“, wiederholte ich.
Milla seufzte. „Gehen wir nach unten! Dieser langhaarige Typ sieht zwar nicht besonders vertrauenerweckend aus, aber ich sterbe vor Hunger.“
Ich nickte. „Zur Not esse ich sogar Ratte.“
„Lammrücken in Tomaten-Oliven-Kruste mit Röstkartoffeln und Okraschotengemüse.“
Wir saßen an einem Tisch im Pub und der graugelockte Stones-Verschnitt stellte schwungvoll zwei Teller vor uns ab. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Auf mein Gewicht achten konnte ich nach unserem Urlaub wieder.
Keith Richards, der Ian Kuyt hieß, erzählte uns beim Essen, dass er nach dem Krebstod seiner Frau seine Arztpraxis in Amsterdam verkauft hatte und nach Irland ausgewandert war.
„Ich wusste, dass ich noch einmal ganz von vorn anfangen musste, wenn es weitergehen sollte“, meinte er und meine Mutter bedachte ihn mit einem deutlich milderen Blick als bei unserer Ankunft. Ich war jedoch ein wenig enttäuscht. Denn ich hatte kurz zuvor nach Bildern von Keith Richards gegoogelt. Zwar war ich nicht so naiv gewesen zu glauben, dass sich der Stones-Gitarrist von der Presse unbemerkt auf die grüne Insel abgesetzt hatte, um in the middle of nowhere einen Pub zu eröffnen, aber die schmächtige Figur, die tiefliegenden Augen, die Boxernase, alles stimmte bis ins kleinste Detail. Bei unserer Ankunft hatte er sogar einen Hut getragen.
„Ich würde morgen gerne ein paar Einkäufe erledigen“, verkündete Milla, als Ian uns das Dessert, Zitronentarte mit Vanillemürbeteig, präsentierte. „Können Sie mir sagen, wie ich von hier ins Zentrum komme?“
„Das Zentrum?“ Er lachte dröhnend. „Welches Zentrum?“
„Na, das Zentrum von Kylebrack.“
„Wenn Sie ein Stück die Straße hinuntergehen, kommen Sie an eine Kreuzung. Dort stehen eine Tankstelle und ein Shop.“
„Mehr nicht?“ Milla wirkte geschockt. „Keine Fußgängerzone, keine Restaurants?“
„Das alles finden Sie in Loughrea. Wenn Sie möchten, fahre ich Sie morgen früh hin.“
„Gibt es überhaupt irgendetwas in Kylebrack?“
„Ja.“ Ian grinste. „Eine Tankstelle, einen Shop und diesen Pub.“
Milla presste die Lippen zusammen.
Nach dem Essen fiel ich todmüde ins Bett. Zuvor hatte ich Ian aber noch unbemerkt zur Seite genommen.
„Ich würde morgen früh gerne reiten gehen. Gibt es in der Nähe einen Reitstall?“
„Ja, die Slieve Aughty Riding Ranch. Sie liegt vielleicht einen Kilometer entfernt von hier. Gina wird schon das passende Pferd für dich finden.“ Er zwinkerte mir zu. „Und sie hat einen gutaussehenden Sohn.“
„Warum nimmst du Paul nicht mit zu diesem David?“ Milla hatte sich gerade bereit gemacht, um mit Ian nach Loughrea zu fahren, als ich sie fragte, ob sie auf Paul aufpassen könnte.
„Es wäre das letzte Mal“, flehte ich. „Paul würde sich bei meinem Besuch bei David nur langweilen.“
Auf gar keinen Fall konnte ich Paul mitnehmen!
„Dieser David wohnt also nicht weit von hier, ja?“ Milla schnaubte. „Dann weiß ich ja, wem ich es zu verdanken habe, dass ich in diesem Schafkaff festsitze, in dem es sage und schreibe zwei Häuser gibt.“
„Es gibt noch mehr Häuser, sagt Ian. Sie sind nur ein wenig verteilt.“
„Nur ein wenig verteilt. Wundervoll!“ Sie verdrehte die Augen.
„Du nimmst ihn also?“
„Aber nur, wenn du nach deinem Wiedersehen mit diesem David endlich wieder normal wirst.“
„Danke.“ Ich fiel ihr um den Hals. „Zum Essen bin ich zurück. Das will ich mir nicht entgehen lassen.“ Geschmortes Kaninchen mit Cranberrysauce stand auf Ians Mittagskarte.
Milla lächelte. „Dieser Holländer mag aussehen, wie er will, aber kochen kann er.“
Beklommen machte ich mich nach dem Frühstück auf
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