Zeit für mich und Zeit für dich
gab und mich zugleich in Verlegenheit brachte. Sie luden mich ein, zum Abendessen zu bleiben. Schenkten mir Salami, Käse, Wein. Mit der Zeit erlebte ich solche Situationen öfter, doch ich gewöhnte mich nie daran. Ich fand es zum Kotzen, ich fand mich zum Kotzen. Ich begann diesen Job zu hassen, und irgendwann glaubte ich, ich hätte ihn mir nur ausgesucht, um mich selbst zu bestrafen. Mein Gehalt bekam ich dafür, dass ich mich fertigmachte.
Mein erster Schritt in die Unabhängigkeit war eine schmerzhafte Erfahrung, das musste ich eingestehen. Ich mochte mich nicht, hasste mich sogar. Niemand wusste, wie schlecht es mir damals ging. Ich sprach nie darüber, es hätte nichts genutzt. Niemand kann an der Einsamkeit eines anderen teilhaben.
Meinen Schmerz betäubte ich, indem ich mich in die Arbeit stürzte. Die Firma war zufrieden mit mir, ich bekam immer mehr Lob. Ich aber hatte bereits beschlossen, den Job vielleicht noch ein Jahr weiterzumachen und dann zu kündigen.
Zahlten die Leute unter dem Vorwand nicht, die Ware sei fehlerhaft, musste ich nachprüfen, ob das auch stimmte. In der Firma ließ ich mir wichtigere Vorgänge anvertrauen, bei denen es um höhere Beträge ging und ich kreuz und quer durch ganz Italien fuhr. An die erste Dienstreise erinnere ich mich noch genau, weil ich einen ganzen Vormittag in einem Lager Puppen zählen musste. Diese Puppen bekleckerten sich, machten in die Windel oder Ähnliches, und ich musste bei jeder einzelnen [108] nachprüfen, ob sie sich auch wirklich bekleckerte und einnässte. Dabei stellte ich mir die ganze Zeit vor, was mein Vater wohl gedacht hätte, wenn er mich so gesehen hätte, auf dem Boden sitzend, neben mir einen Karton mit Puppen.
»Die bekleckert sich, die bekleckert sich nicht…«
Ich arbeitete immer bis spät in den Abend. In größeren Städten gab es zwar immer etwas, das ich nach Feierabend unternehmen konnte: spazieren gehen und ein wenig Luft schnappen, eine Zigarette auf den Treppenstufen einer Kirche rauchen. Doch wenn ich in irgendeinem Kuhkaff gelandet war und selbst die Hotelküche schon geschlossen hatte, beendete ich meine traurigen Tage um neun im Hotelzimmer mit Chips und Erdnüssen aus der Minibar – falls es eine gab. In Socken und Unterhose, vor dem Fernseher. Manchmal trank ich alle Fläschchen mit Alkoholika in einem Zug aus: damit die Zigarette besser schmeckte, um mich lebendig zu fühlen, für ein bisschen Rock-’n’-Roll-Feeling. Um mir vorzugaukeln, dass ich nicht nur arbeitete, sondern auch Spaß hatte im Leben.
Wenn ich früh genug dran war, konnte ich noch im Hotelrestaurant essen. Eine triste Angelegenheit. Allein, mit einem halben Liter rotem Hauswein, zusammen mit anderen einsamen Männern wie mir, die nach oben auf den Fernseher in der Ecke starrten und Grissini knabberten, während sie aufs Essen warteten.
[109] Frischer Wind
Ich arbeitete viel und versuchte so wenig wie möglich auszugeben. Zu Hause lieferte ich einen Teil des Geldes ab. Jedes Mal sagte mein Vater, dass er nichts wolle, aber dann nahm er es doch.
Unsere Kommunikation beschränkte sich mittlerweile aufs Grüßen. Ein Kopfnicken, mehr nicht. Ich war noch härter als er, noch verschlossener. Ich hatte die Sache zu den Akten gelegt. Unsere Beziehung bestand aus ein paar Gesten ab und zu, doch für eine Wiederannäherung war die Wunde noch zu frisch, es musste erst Zeit vergehen. Eine schwere Zeit, wenigstens da machten wir uns nichts vor.
In der Mittagspause stemmte ich im Fitnessstudio Gewichte. Eines Tages ging ich hinterher in die Cafeteria und bestellte einen Salat mit Hühnerbrust und Butterreis. Ich ahmte die Leute nach, die hier ernsthaft trainierten. Meine Affäre mit den Hanteln währte nur kurz, obwohl ich mich in jener Zeit ziemlich auspowerte. Während ich meine Fanta trank, sprach mich ein Mann an, der am Nebentisch saß: »Weißt du eigentlich, woher die Fanta kommt?«
Ich fand die Frage einigermaßen bizarr, zumal ein Unbekannter sie stellte.
[110] »Nein, weiß ich nicht.«
»Fanta wurde während des Zweiten Weltkriegs von dem deutschen Coca-Cola-Chef Max Keith erfunden, als in Deutschland keine Coca-Cola mehr verkauft werden konnte. Er wollte keine Marktanteile verlieren, und solange sich auf den Flaschen kein Hinweis fand, dass die Limo immer noch von Coca-Cola hergestellt wurde, durfte sie in Deutschland vertrieben werden. Und weißt du, warum sie ›Fanta‹ heißt?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung…«
»Das
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