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Zeit für mich und Zeit für dich

Zeit für mich und Zeit für dich

Titel: Zeit für mich und Zeit für dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
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1934.
    Der letzte Satz erscheint, wenn die Kaffeemaschine das Bild ganz ausfüllt. Langsam fällt der letzte Tropfen.
    »Der Kaffee in der Bar ist unübertrefflich.«
    [117]  Nach diesem Spot wurde ich von einer wichtigen Werbeagentur in Mailand angesprochen. Sie wollten mich sofort engagieren. Ich wusste nicht, wie ich es Enrico beibringen sollte, es war die gleiche Dynamik zu befürchten wie zwischen mir und meinem Vater. Als ich mich endlich überwand und ihm davon erzählte, war er wenig begeistert, das merkte ich, ohne dass er es zu erklären brauchte. Erneut kam ich mir vor wie ein Egoist, andererseits wollte ich die Chance nicht verpassen.
    Er habe gewusst, dass das früher oder später passieren würde, meinte Enrico, und es sei okay. »Ich hatte auch mal die Chance, von hier wegzugehen, aber ich bin lieber dageblieben und spiele hier den Platzhirsch. Doch du bist dafür gemacht, in die Welt hinauszugehen, und du wirst es schaffen. Mach dir keine Vorwürfe, du bist nicht egoistisch. Und außerdem denk dran, Egoismus ist zwar verpönt, aber dann jubeln doch alle denen zu, die sich gerade deshalb von der Masse abheben. Gib mir nur ein paar Wochen, damit ich hier alles regeln kann.«
    Ich begann meinen Job in der neuen Agentur, half in der ersten Zeit aber noch Enrico an den Wochenenden und versuchte, die laufenden Projekte abzuschließen. Bald darauf eröffnete er mir, er habe sich entschlossen, die Agentur zu verkaufen. Nach meinem Weggang sei es für ihn sinnlos geworden weiterzumachen, er habe niemanden, der die Agentur voranbringen wolle. Ein knappes Jahr später verkaufte er und ließ sich auf Formentera nieder. Ab und zu besuche ich ihn, am liebsten im Sommer.
    Der erste Arbeitstag in der neuen Agentur war [118]  seltsam. Claudio, der Chef, rief mich zu sich ins Büro und sagte: »Du wirst erst mal gar nichts tun, ich gebe dir keinen Auftrag. Komm morgens her, setz dich an den Schreibtisch, lauf durch die Flure, und wenn irgendwo ein Meeting stattfindet, frag, ob du dich dazusetzen darfst, aber vermeide es, das Wort zu ergreifen. Schau dir alles an, lerne, lies, hör zu. Mach, wozu du Lust hast. Du wirst an keinem konkreten Projekt arbeiten. Du sollst nur die Luft atmen, die hier bei uns weht. Deine erste Aufgabe besteht darin, dich einzuleben.«
    »In Ordnung.«
    Ich war verwirrt, aber ich tat, wie mir geheißen. Wochenlang fuhr ich morgens zur Nichtarbeit. Claudio war ein Star der Branche und wurde als eine Art Genie gehandelt. Er war faszinierend, wortgewandt, verführerisch, intelligent, ironisch, charismatisch: ein Mensch, der still dasitzen kann und trotzdem die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Alle begegneten ihm mit Respekt, viele auch mit Furcht. Wenn seine Sekretärin einen von uns zu ihm zitierte, hoben alle den Kopf und sahen den Betreffenden besorgt an, denn wenn Claudio dir nichts Erfreuliches mitteilen wollte, konnte er dich in eine Art dead man walking verwandeln. Er konnte einen pushen oder zerstören. Man ging zu ihm ins Büro, und wenn man rauskam, hielt man sich entweder für einen Gott oder für eine Null.
    Im ersten Jahr stellte Claudio neuen Mitarbeitern eine Wohnung zur Verfügung, und so kam es, dass ich bei einem Typ namens Tony einzog.
    Nachdem ich genug Agenturluft geschnuppert hatte, [119]  vertraute mir der Chef den ersten Job an, bei dem ich mit einem Art Director namens Maurizio zusammenarbeiten sollte. Bevor ich sein Büro verließ, gab Claudio mir noch eine Maxime mit auf den Weg, die ich nie vergessen habe: »Denk dran, Talent ist ein Geschenk, Erfolg aber ist Arbeit.«
    Das war nicht der einzige Spruch, der sich mir eingeprägt hat. Claudio gab viele Weisheiten zum Besten, manchmal stammten sie von ihm, manchmal von berühmten Leuten. Zum Beispiel:
    »Es zahlt sich nicht immer aus, die eigenen Tugenden hervorzukehren, oft verbirgt man sie besser.«
    »Sympathische Menschen sind oft unerträglich.«
    »Auch die Kunst muss kalkuliert sein, damit sie totale Freiheit ist.«
    »Manche von uns stammen vom Affen ab, andere nähern sich ihm immer mehr an.«
    »Jede Mauer ist eine Tür.«
    »Unzufriedenheit schafft Arbeit.«
    Als ich das erste Projekt ablieferte, fehlte nicht viel, und er wäre mir ins Gesicht gesprungen. Die totale Pleite. Abends konnte ich nicht einschlafen. Es war alles nicht so einfach wie mit Enrico.
    Nach dem ersten Misserfolg war ich verschreckt, verwirrt und unsicherer als je zuvor. Morgens kam ich mit hängendem Kopf ins Büro. Die Tatsache, dass ich

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