Zeit für mich und Zeit für dich
doch kein Abitur, ich hab nur Hauptschulabschluss. Oder suchst du eine Putzhilfe?«, antwortete ich.
»Ich brauche einen, der wach und intelligent ist, und das bist du. Mit dem Schulabschluss hat das nichts zu tun.«
»Danke für die Blumen, aber ich weiß wirklich nicht…«
Enrico war der Erste, dem es egal war, dass ich nur Hauptschule hatte. Damit hatte er mich aus dem Konzept gebracht, ich wusste nicht, was ich sagen sollte. »Die Schule belohnt meist nicht die Intelligenten«, fuhr er fort, »sondern die mit gutem Gedächtnis. Aber wer ein gutes Gedächtnis hat, ist nicht automatisch intelligent. Außerdem reicht auch ein Kurzzeitgedächtnis, um in Schule und Universität Erfolg zu haben. Also denk drüber nach.«
»Ich soll zum Vorstellungsgespräch zu dir kommen, meinst du?«
[114] »Das haben wir schon hinter uns. Von mir aus geht die Sache klar. Du kennst dich aus in Sachen Film, Musik und Literatur, und du bist neugierig, das zählt. Du bist interessiert, und aufgrund deiner Art zu reden, deiner ironischen und geistreichen Bemerkungen und deiner Art, wie du Gedanken auf den Punkt bringst, wärst du ein prima Werbetexter. Ich weise dich ein bisschen ein, und dann kann’s losgehen. Du schaffst das ohne Probleme, auch ohne Studium. Also sag mir deshalb nicht ab, das wäre völlig beknackt.«
»Okay, ich denk drüber nach.«
»Kennst du B. B. King und Muddy Waters?«
»Ja.«
»Findest du sie gut?«
»Absolute Spitze.«
»Die können auch keine Noten lesen. Haben nie die Notenschrift gelernt. Bill Bernbach hat es mal so ausgedrückt: Regeln sind dazu da, damit der Künstler sie bricht.«
»Und wer ist dieser Bill Bernbach?«
»Das wirst du im Lauf unserer Zusammenarbeit noch lernen. Aber davon abgesehen, ich sag’s noch einmal: Wenn das Problem für dich wirklich die Angst ist, dass du nicht genug weißt, sei unbesorgt. Ich brauch dich für die Kommunikation, und kommunizieren kann man auch ohne großes Wissen. Wissen braucht man, um zu informieren, das kommt dann vielleicht später. Und jetzt darfst du mir einen Gin Tonic ausgeben.«
»Aber wir sind hier doch im Fitnessstudio, und es ist erst zwei Uhr mittags…«
[115] »Ich weiß, aber heute läuft es halt mal anders.«
Anderthalb Monate nach diesem Gespräch fing ich bei ihm an. Enrico brachte mir alles bei, was ich für meinen neuen Job brauchte. Wie er vorhergesagt hatte, fand ich später auch heraus, was es mit Bill Bernbach und seiner »kreativen« Revolution auf sich hatte. Und mit vielen anderen großen Namen aus der Werbewelt.
Enrico gab mir einen Stapel Bücher über Kommunikation und Marketing mit, die ich lesen sollte. Auch welche über Semiotik. Er schickte mich in Kurse, Seminare und Workshops. Ich lernte und lernte. Anfangs war ich hauptsächlich für den Kaffee zuständig oder ordnete Kataloge, verschickte Briefe und half seiner Sekretärin, Termine zu machen. Nur ums Putzen kam ich gerade noch herum. Trotzdem, immer dabei zu sein und ihm bei der Arbeit zuzusehen war die beste Schule für mich. Viel von dem, was ich in dieser Zeit gelernt habe, hat mir im späteren Leben sehr geholfen.
Nach einem Monat gab er mir den ersten Auftrag: Plakate für eine Supermarktkette zu entwerfen.
Supermarkt… superstark!
Das war mein erster Claim.
Bei Enrico verdiente ich besser als bei der Inkassofirma. Rund vier Jahre arbeitete ich in seiner Agentur, und das mit wachsender Befriedigung. Ich gewann sogar Preise. Den letzten bekam ich für die Kampagne zur Einführung einer Espressomaschine. Sie ging so:
In der Ferne, auf einem weißen Sockel, wie ein Kunstwerk, thront eine Kaffeemaschine. Kaffee läuft in eine [116] Tasse. Während die Kamera langsam heranzoomt, werden Sätze eingeblendet.
»In einem halben Jahr werden es die Menschen satthaben, auf diese Holzkiste zu starren.«
Darryl F. Zanuck, Präsident der 20th Century Fox, über die aufkommenden Fernsehgeräte, 1946.
» Forget it: Mit so einem Film verdienen wir keinen Cent.«
Irving Thalberg, Direktor von Metro Goldwyn Mayer, über Vom Winde verweht, 1936.
»Kein Interesse. Die Musik dieser Jungs funktioniert nicht, Gitarrenbands sind out.«
Ein Sprecher von Decca Records über die Beatles, 1962.
»Die Band ist okay. Aber schmeißt bloß diesen Sänger raus, bei den Riesenlippen kriegen die Mädchen ja Angst.«
Andrew Loog Oldham, Produzent und Musikmanager, über die Rolling Stones, 1963.
»Picassos Ruhm wird schnell verblassen.«
Thomas Craven, Kunstkritiker,
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