Zeit für mich und Zeit für dich
Zeitung putzt, Gläser abtrocknet, und zwar die schmalen hohen, in die man mit der Hand nicht reinkommt, wie man Stahlspüle und Armaturen zum Glänzen bringt oder die Scheiße im Klo abkratzt, wenn einer die Bürste nicht benutzt hat. Alles Mögliche hätte ich ihm beigebracht. Aber er hatte ja mit zwanzig einen Preis gewonnen, er war das Genie, das Talent, der aufgehende Stern am Werbehimmel… und deshalb hielt er solche Dinge für unter seiner Würde. Ich bin der festen Überzeugung, dass es ein Glück war, dass ich damals die Wohnung mit einem Kollegen teilte, der besser war als ich. Noch heute suche ich die Nähe von Leuten, die Dinge besser können als ich. Ich brauche Leute, die mich stimulieren, höhere Ziele zu erreichen, und ich kann nicht verstehen, wie man sich mit Arschkriechern umgeben will.
Als sich die ersten beruflichen Erfolge einstellten und ich endlich begriffen hatte, dass ich nicht mehr andere kopieren durfte, sondern ich selbst bleiben musste, ein Junge aus der Provinz, wurde ich sicherer und ging auch keine Kompromisse mehr ein. Tony deutete dies als Mangel an Respekt und vor allem als Beleg dafür, dass mir der Erfolg zu Kopf gestiegen war.
Ich hätte immer einfach nur Schwein gehabt, behauptete er nun: dass ich diese Kampagne zugeteilt [135] bekommen hatte und nicht jene, dass der Chef nicht das und das zu mir gesagt hatte, dass ausgerechnet in dem Moment das und das passiert sei… Ich verstand nicht, warum er das nötig hatte. Ich hatte mich immer für ihn gefreut, wenn es gut für ihn lief.
Langsam begriff ich, dass er mit den Schwächen anderer sein eigenes Selbstbild stärkte. Deshalb zog er auch nie aus der Wohnung aus: Jedes Jahr bekam er einen neuen Mitbewohner zugeteilt, und er war immer der Überlegene und konnte sich groß fühlen.
Ich hasste ihn nicht, doch irgendwann ließ ich es nicht mehr zu, dass er mir gegenüber arrogant wurde. Ich erkundigte mich, wie es denn um seinen Film stehe, den er angeblich drehen wollte. Wie er das meine, er werde ihn demnächst drehen, hakte ich nach und bot ihm meine Hilfe an. Er blieb immer vage und wechselte lieber das Thema. Wenn ich fragte: »Wann gibst du das Drehbuch ab? Wie weit bist du denn?«, suchte er immer nach Ausflüchten.
»Jetzt noch nicht, ich muss erst noch ein bisschen rumreisen und mir bestimmte Sachen anschauen; jetzt noch nicht, ich warte noch, dass eine neue Version der Schnittsoftware herauskommt; jetzt noch nicht, es ist gerade nicht der richtige Moment…«
Immer schob er es auf, und ich begriff, dass das alles nur Vorwände waren und er in Wirklichkeit Angst hatte herauszufinden, dass er einfach nicht brachte, was alle von ihm erwarteten. Und was er vielleicht selbst von sich erwartete. Dass er am Anfang seiner Karriere einen renommierten Preis gewonnen hatte, erwies sich als [136] Hemmschuh, er hatte schon gedacht, er habe es geschafft und alles würde ihm jetzt in den Schoß fallen. Doch nach so einem Erfolg spürt man auch, dass aller Augen auf einen gerichtet sind. Es ist besser, Schritt für Schritt zu wachsen.
In aller Freundschaft sagte ich ihm eines Tages, dass er meiner Ansicht nach sein Talent und seine Zeit vergeude, dass das ständige Aufschieben nur ein Vorwand sei, da er sich in Wirklichkeit vor Angst in die Hose mache. Er reagierte sehr heftig darauf, brüllte mich an, was ich mir erlaube, so mit ihm zu reden, ich hätte ja gar keine Ahnung, da sehe man mal, wie arrogant, großspurig und vor allem neidisch ich sei.
»Mensch, Tony, ich sag das doch nur als dein Freund.«
»Ich hab dich nicht darum gebeten. Wer meinst du denn, wer du bist? Nur weil du das Schwein hattest, dass dir zwei easy Jobs angeboten wurden, die du halbwegs vernünftig erledigt hast… und die ich übrigens beide abgelehnt habe. Als du hier eingezogen bist, konntest du nicht mal richtig Italienisch, und jetzt erteilst du mir Ratschläge für mein Leben. Fuck off, loser. «
Kurz darauf nahmen wir beide an einem Wettbewerb teil, den zwar keiner von uns gewann, doch ich wurde Zweiter, lag also vor ihm. Von da an sprach er kein Wort mehr mit mir, höchstens um mich massiv zu beleidigen. Wer unzufrieden mit sich selbst ist, lässt das häufig an anderen aus.
Einmal warf er mir sogar vor, ich hätte ihm eine Idee geklaut, den Sloganfür meine Kampagne hätte ich bei einer Unterhaltung mit ihm aufgeschnappt.
[137] Egal, unsere Freundschaft war eh im Eimer. Sobald ich eine Wohnung in der Nähe der Agentur fand, zog ich
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