Zeit für mich und Zeit für dich
Geräusch des Löffels, wenn sie den Plastikbecher auskratzte: Das brachte mich echt auf die Palme. Dabei schlecke ich den Becher sogar mit der Zunge aus.
Irgendwann muss sie das mitgekriegt haben, weil sie es meiner Wahrnehmung nach mit noch größerem Eifer tat, wie um mich zu ärgern.
Jetzt, wo sie nicht mehr da ist, vermisse ich all diese Macken, auch die, die mir auf die Nerven gingen. Aber am schlimmsten ist für mich all das, was nicht mehr geschehen wird. Und die Schwierigkeit, eine Frau zu finden, die dieses gewisse Etwas hat, das ich nicht erklären kann und das sie hatte, die macht es mir noch immer, nach all der Zeit, unmöglich, mir zu verzeihen, dass ich so dusselig war und sie aus meinem Leben habe gehen [144] lassen. Deshalb will ich sie jetzt wiederhaben. Und sie wird mich verstehen, sobald ich mit ihr rede, und ihre Hochzeit abblasen.
[145] Nicola
In meiner Branche hat sich viel verändert seit den Achtzigerjahren. Die Anfänger kommen mit immer schwieriger auszusprechenden Abschlüssen an, die gewöhnlich auf »… of communication « am Ende lauten.
Sie schleppen haufenweise neue Technologien an und tragen coole Umhängetaschen. Sie haben absolut nichts drauf, fordern aber – weil sie ja so viel studiert (einige sogar im Ausland!) und sogar noch einen Master drangehängt haben – ein eigenes Büro für sich sowie Leute, die sie rumkommandieren können. Wenn du sie um etwas bittest, musst du damit rechnen, dass sie sich weigern mit dem Hinweis, das sei nicht ihre Aufgabe, das stehe so nicht in der job description, wie mich eines Tages einer aufklärte. Ich hatte ihn Kaffeeholen geschickt, und er hatte ihn mir zwar gebracht, hintenrum jedoch allen erzählt, was für ein Arschloch ich sei und dass er mir beim nächsten Mal den Kaffee in die Fresse kippen würde.
Ich verstehe das. Es ist was anderes, ob man mit zwanzig anfängt zu arbeiten oder mit dreißig. Ich kenne solche Ängste, und vor allem kann ich nachvollziehen, dass es heute schwieriger ist als damals, als ich anfing. Paul Valéry hat’s auf den Punkt gebracht: »Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal war.«
[146] Ich hatte einfach mehr Glück. Ich bin durch ein Hintertürchen in die Werbebranche hineingeschlüpft und musste dazu den Kopf einziehen. Ich bin mit gesenktem Haupt in die Arbeitswelt eingetreten, mir bereitete es keine Probleme, Enrico den Kaffee zu bringen. Dieser Demut verdanke ich im Berufsleben vielleicht am meisten.
Heute fühlen Nicola und ich uns in unserem Job nicht mehr so wohl, er bereitet uns nicht mehr so viel Befriedigung. Heutzutage geben die auftraggebenden Firmen die Regeln vor und töten die Phantasie, ganz nach dem Motto: Ich zahle, also habe ich recht. Dass unsere Arbeit immer mehr verdorben wird, ist das eine. Aber sie macht einem oft auch ein schlechtes Gewissen, wenn einem bewusst wird, dass man sich all die Mühe nur macht, um Schwachsinn in die Köpfe der Menschen zu pumpen, die Leute zu belügen und falsche Bedürfnisse zu wecken.
Ich zum Beispiel habe dazu beigetragen, die Überzeugung zu verbreiten, dass man leichter krank wird und den Tag geschwächt angeht, wenn man morgens keine Buttermilch zu sich nimmt, dass ein Deo intelligent sein kann, dass eine Creme die Alterung aufhält und Falten beseitigt.
Das Thema Schuldgefühle des Werbemachers kam auch bei meiner Freundschaft zu Nicola gleich am Anfang zur Sprache. Es war mit das Erste, worüber wir uns unterhalten haben, und hat uns für immer verbunden. Gleich zu Beginn unserer gemeinsamen Tätigkeit, noch bei Claudio, haben wir im Verlauf eines Arbeitswochenendes einen Vortrag besucht, der uns für unseren Beruf [147] nützlich erschien: »Die Ästhetik verzehrt die Kinder der Zeit und zerstört das einzige Gute, das der Mensch besitzt: die Persönlichkeit«, das wohl irgendein Zitat von Kierkegaard ist.
Der Redner auf dem Podium sprach genau das an, was wir an unserem Beruf so zweifelhaft fanden: »Wir wissen, dass wir aktiver und wichtiger Teil der Auflösung der gesellschaftlichen Werte sind, indem wir nicht nur Produkte verkaufen, sondern einen Lebensstil, der möglichst aufwendig ist und zugleich alle anderen Lebensstile an den Rand drängt. Das Ziel ist nicht die Befriedigung von Bedürfnissen, sondern die Schaffung immer neuer Wünsche. Ist ein Wunsch befriedigt, müssen wir bereits einen neuen erfunden haben, der befriedigt werden muss…«
Ja, wir manipulieren die Leute, wir fordern und bekommen
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