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Zeit für mich und Zeit für dich

Zeit für mich und Zeit für dich

Titel: Zeit für mich und Zeit für dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
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rauchte auch manchmal – einen Gutenachtjoint, wie ich es nannte – und trank ein Bier mit; aber Koks war nie mein Ding. Ich hatte Angst, irgendwann die Kontrolle zu verlieren, während die anderen sich hundert Prozent sicher waren, dass sie jederzeit aufhören konnten. Außerdem erinnerte ich mich an Robertos Warnung: »Finger weg von den Drogen.«
    Tony behauptete, er arbeite nur vorübergehend in der Agentur: »Eigentlich bin ich Regisseur«, wiederholte er ständig. Oder: »Wenn ich meinen Film drehe…« Er liebte die großen alten Regisseure und hasste die neuen. Alles Wichser, viel schlechter als er, hatten einfach nur Schwein gehabt, waren kommerzieller, hatten sich ans System verkauft, machten gar kein Kino, sondern [129]  Fernsehen… Er zog so lange über die zeitgenössischen Regisseure her, dass ich irgendwann glaubte, Tony würde sie tatsächlich einmal alle übertreffen. Später kam ich dahinter, wie es wirklich war: Wenn du dauernd die anderen kritisierst, schürst du große Erwartungen an dich selbst und manövrierst dich in eine Falle. Je mehr du kritisierst, desto höhere Erwartungen weckst du, und je höhere Erwartungen du weckst, desto größer wird die Angst zu versagen. Und statt endlich loszulegen, schiebst du es unter immer neuen Vorwänden vor dir her. Wer kritisiert, hat oft einfach nur Angst.
    Auf der Arbeit lief es immer schlechter. Mir kamen keine neuen Ideen, ich war wie blockiert. Ein furchterregender Zustand. Ich war der festen Überzeugung, dass ich meine Probleme nie würde überwinden können. All diese Tage ohne auch nur den Ansatz einer Idee, die ich hätte entwickeln können, rieben mich auf. In solchen Augenblicken beginnt wohl jeder Kreative davon zu träumen, einen anderen Job zu haben, etwas Praktisches zu zu tun, körperliche Arbeit zu verrichten – einfach nur Sachen hin und her tragen, und seien sie noch so schwer.
    Es näherte sich der Tag, an dem ich meine zweite Arbeit abgeben sollte. Mein erster Fehlschlag lag schon eine Weile zurück, doch es wurde wieder ein Desaster.
    Claudio war knallhart: »Ich sag’s dir jetzt zum letzten Mal. Du imitierst andere, das ist nicht dein Stil. Vielleicht ist das Problem ja, dass du nicht weißt, wer du bist. Hör auf zu imitieren. Wer sich nicht verirrt, findet keine neuen Wege. Vergiss deine Selbstkontrolle und lass dich ernsthaft auf die Sache ein – oder such dir einen [130]  anderen Job. Neulich hast du’s vermasselt, und wie reagierst du darauf? Du vermeidest jegliches Risiko und lieferst mir praktisch dasselbe noch mal ab. Ich kann in deiner Arbeit keinerlei originelle Idee erkennen, nichts Innovatives, nichts Mutiges, im Gegenteil: Was ich sehe, ist ein Schritt rückwärts. Ich kann keine unfehlbaren Leute gebrauchen, die nie was falsch machen, ich will Leute mit Mut und Originalität. Mut zum Risiko, daran messe ich die Menschen. Du musst den Mut haben, dreist zu sein. Anders geht es nicht in diesem Beruf. Du darfst dich nicht schämen oder zurücknehmen. Hast du Angst vor dem Urteil der anderen? Hast du Angst, man könnte dich nicht akzeptieren, dich gar verurteilen? Entweder du nimmst das Risiko auf dich und überwindest deine Ängste, oder du gehst nach Hause und schleppst immer wieder aufs Neue deine drei, vier bewährten Ideen an, mit denen du nichts falsch machen kannst.
    Du hast das Zeug, es zu schaffen, es liegt nur an dir. Um zu wissen, wozu du imstande bist, welches deine Fähigkeiten sind und vor allem, was du nicht kannst, musst du deine Grenzen kennenlernen, und um sie kennenzulernen, musst du dich bis zum Rand vorwagen. Ich warne dich: Wenn ich in deiner nächsten Arbeit keinen Mut erkenne, bist du raus. Out! «
    Ich verließ sein Büro und ging nach Hause, legte mich aufs Bett und heulte. Ich überlegte, zu meinen Eltern zurückzugehen, meinen Vater um Verzeihung zu bitten, die Schürze wieder anzuziehen und mit ihm hinunter in die Bar zu gehen. Ohne ein Wort, als ob nichts geschehen wäre.
    [131]  Ich hatte Angst, all dem nicht gewachsen zu sein, es nicht zu schaffen. Das Schreckgespenst des Scheiterns ergriff von mir Besitz. Außerdem fühlte ich mich unendlich einsam, schon viel zu lange. Einsam, müde und verängstigt.
    Ich raffte mich auf und ging ins Bad. Wusch mir das Gesicht. Meine Augen waren gerötet, ich war völlig fertig, das war unübersehbar. Schweigend betrachtete ich mich, mindestens eine halbe Stunde lang. Ich versuchte alles, was ich an diesem Gesicht kannte, wegzudenken, die Masken,

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