Zeit für mich und Zeit für dich
aus.
Mittlerweile lebte ich in zwei verschiedenen Realitäten. Unter der Woche feierte ich kleine Erfolge und erreichte Ziele, und wenn ich dann am Wochenende nach Hause fuhr, sah ich meinen Vater, der auf keinen grünen Zweig kam, obwohl er mehr schuftete als ich. Zu Hause versuchte ich nicht allzu sehr zu zeigen, wie glücklich mich meine Arbeit machte, auf der Arbeit versuchte ich nicht allzu unglücklich zu wirken, wenn ich von zu Hause zurückkam. Ich trainierte mir an, mich zu verstellen. Es war anstrengend, körperlich anstrengend, jenes bisschen Heiterkeit zu mimen, das ich brauchte, um gut arbeiten und mein Umfeld pflegen zu können. Ich fühlte mich wie eine wandelnde Lüge. Ich war nicht glücklich, aber ich wollte zumindest so wirken.
Eines Samstags, als ich zum Mittagessen bei meinen Eltern war, sagte mein Vater einen Satz, dem ich im ersten Moment keine Beachtung schenkte. Erst mit der Zeit merkte ich, dass er mich tief getroffen hatte. Er hatte sich nur erkundigt: »Und, wie läuft’s so?«
»Ganz gut.«
»Da bin ich froh. Weißt du, ich denke, dass mein Pech alles in allem dein Glück war.«
»Wie meinst du das?«
»Na, wenn die Geschäfte in der Bar nicht so mies gelaufen wären, dann wärst du nicht von zu Hause fortgegangen, deshalb war mein Pech dein Glück…«
Meinem Vater ist oft nicht bewusst, was er sagt, er kann [138] schlecht einschätzen, welche Bedeutung ein Satz von ihm für mich hat. An dem, was er gesagt hatte, war nichts auszusetzen, trotzdem drangen seine Worte in mich ein wie eine Klinge ins Fleisch und stellten in meinem Kopf eine untrennbare Verbindung her zwischen meinem Glück und seinem Pech. Je besser es bei mir lief, je mehr ich verdiente, desto schlechter war mein Gewissen gegenüber meinem Vater. Geld und Erfolg entfernten uns voneinander, unterschieden uns. Je höher ich auf der Erfolgsleiter stieg, desto einsamer fühlte ich mich.
Die Früchte meines beruflichen Erfolgs konnte ich nicht genießen. Ich fuhr immer noch meine alte verbeulte Karre. Viele hielten das für eine Marotte, als wollte ich mir ein bestimmtes Image geben – der Naive, der vorgeblich Bescheidene oder so. Sie konnten nicht wissen, dass es um etwas ging, das viel tiefer saß. Das Auto verband mich mit meiner Familie. Ein neuer Wagen hätte eine noch größere Trennung von ihnen bedeutet, einen weiteren Schritt weg von ihnen, noch mehr Einsamkeit, noch mehr Schuldgefühle.
Meine neue wirtschaftliche und berufliche Situation war für mich gleichbedeutend mit der Trennung von meiner Familie. Alles lief bestens, aber ich war einfach nicht glücklich.
[139] Sie (die Unausstehliche)
Ich habe ein Problem. Besonders seit sie fort ist. Ich gehe jetzt schon länger wieder aus und treffe neue Leute, aber ich passe nirgends mehr dazu, keiner ist mir ähnlich.
Neulich war ich zu einem Aperitif mit Nicola verabredet, und ein paar Freunde und Freunde von Freunden stießen dazu. Nach zwanzig Minuten Thekenstehen mit dem Glas in der Hand fragte ich mich, was mich eigentlich mit diesen Leuten verband, und da war mir wieder klar, warum ich kaum mehr ausgehe.
Auch sie war oft unausstehlich, ich stritt mit ihr und fand ihre Argumente oft haarsträubend, doch immer spürte ich, dass sie »anders« war, so wie ich.
Seit wir nicht mehr zusammenleben, ist vieles einfacher geworden, aber nur Nebensächlichkeiten, die ihre Abwesenheit nicht aufwiegen können.
Im Winter wache ich jetzt nie mehr fröstelnd auf, während das früher, als sie noch da war, in den besonders kalten Nächten oft vorkam. Sie wickelte sich im Schlaf in die Decke ein wie eine Frühlingsrolle, und um mir ein Stückchen zurückzuerobern, musste ich sie wie ein Jo-Jo wieder abrollen.
Und im Sommer kann ich mich jetzt auch auf die andere Seite des Bettes wälzen, wenn mir warm ist, auf [140] ihre. Auch das Kissen kann ich wechseln und für kurze Zeit die Kühle am Hals genießen.
Filme kann ich gucken, ohne auf die Pause-Taste zu drücken, weil sie aufs Klo muss, was durchaus zwei- oder dreimal pro Film passieren konnte. Das hat mich immer total genervt, auf dem Sofa zu sitzen und auf das Standbild zu starren. Manchmal sagte sie, ich solle den Film ruhig weiterlaufen lassen, aber da kam ich mir egoistisch vor. Außerdem musste ich ihr dann eine rasche Zusammenfassung der Ereignisse geben, wenn sie zurückkam. Der einzige Vorteil in solchen Situationen war, dass ich sie um ein Glas Wasser oder einen Apfel bitten konnte: »Wo du schon mal
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