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Zeit für mich und Zeit für dich

Zeit für mich und Zeit für dich

Titel: Zeit für mich und Zeit für dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
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Fleischklößchen gemacht, mein Lieblingsgericht. Bei Tisch sprachen wir über die Untersuchungen, denen mein Vater sich unterziehen musste. Meine Mutter hat keinen Führerschein, deshalb bot ich an, ihn zu fahren. »Wenn du möchtest, bring ich dich hin.«
    [159]  »Nein, danke. Ich schaff das schon allein, ich bin ja nicht krank.«
    »Ich wollte damit nicht behaupten, dass du es nicht schaffst, ich wollte nur sagen, dass ich dich fahren kann, wenn du möchtest.«
    »Nicht nötig, aber danke für das Angebot.«
    Das war keine Freundlichkeit von seiner Seite oder Furcht, zur Last zu fallen, das waren Türen, die er mir beleidigt vor der Nase zuknallte.
    An diesem Abend lief es anders, es wurde mal nicht alles unter dem Mantel des Schweigens versteckt. Die Bombe explodierte. Ob wegen meiner Müdigkeit oder seiner Antwort, weiß ich nicht, jedenfalls verlor ich kurz darauf, als er irgendeinen Kommentar abgab, die Kontrolle und kotzte mich mal so richtig aus. Nicht die Fleischklößchen meiner Mutter natürlich, sondern all die Worte und Gefühle, all den Groll, den ich seit Jahren im Bauch hatte. Aus meinem Mund kamen Worte, die ich nicht bedachte, die einfach so hervorsprudelten.
    »Weißt du was, Papa? Mir geht das alles wahnsinnig auf den Sack. Ich halt das nicht mehr aus. Seit Jahren geht das jetzt so, und es steht mir bis hier. Weißt du, warum wir uns streiten? Weil wir uns nichts zu sagen haben. Aus Angst, über anderes sprechen zu müssen und uns Sachen an den Kopf zu werfen, die wir bereuen würden, reden wir über nichts. Warum sagst du mir nicht frei heraus, dass du es scheiße fandest, dass ich der Bar den Rücken gewandt und dich verraten habe? Dass ich dich im Stich gelassen habe, dass ich ein Egoist war… Komm schon, lass alles raus, was in dir drin ist, ein für alle Mal.
    [160]  Wir haben uns Tage und Wochen nicht gesehen, und jetzt komme ich zum Abendessen her, und du hast nichts Besseres zu tun, als schweigend zu essen und dich danach im Wohnzimmer vor den Fernseher zu hauen. Wer bin ich denn für dich? Störe ich dich, oder was?
    Das Einzige, was du sagst, ist, dass du kein Geld von mir willst oder dass du es mir zurückzahlen wirst, sobald du kannst. Das geht mir vielleicht auf die Eier, mit dem Satz kann ich mir den Arsch wischen, das wissen wir doch beide.
    Ich ertrag es nicht mehr, wie du über das Leben sprichst, immer hat man entweder Glück oder Pech. Noch heute, nach all den Jahren, behandelst du mich wie einen Fremden, wie einen Verräter. Was muss ich tun, damit du mir verzeihst? Sag’s mir!
    Als kleiner Junge hab ich immer versucht, keine Probleme zu machen, und als ich in der Bar anfing, hab ich getan, was ich konnte, ich hab gearbeitet und ein bisschen von deinem Scheißleben gekostet.
    Ich habe auf alles im Leben verzichtet, vor allem darauf, glücklich zu sein, und mich in die Arbeit gestürzt, um unsere Probleme zu lösen, einen Ausweg zu finden. Ich musste es schaffen, es gab keine Alternative. Und ich hab’s geschafft. Aber das Geld ist mir piepegal. Anstatt zu sagen, dass du es mir wiedergibst, frag mich lieber mal, wie’s mir geht, frag mich, was du als Vater, nicht als Schuldner, für mich tun kannst.
    Ich bin vielen anderen Vätern begegnet, die mich unter ihre Fittiche genommen haben, und ohne sie wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Und sie sind immer noch [161]  da, würden mir jederzeit helfen und zur Seite stehen. Das sind wichtige Menschen für mich, doch am Ende habe ich mich wieder für dich als meinen Vater entschieden. Dass ich heute noch hier bin, hat damit zu tun, dass du der Vater bist, den ich will.
    Was mich interessiert, ist, ob du mich überhaupt als Sohn möchtest. Ich will nicht dein Sohn sein, nur weil du mich gezeugt hast, sondern weil du dich für mich entschieden hast. Entscheide dich für mich, Papa, oder lass mich gehen.«
    Bei den letzten Worten hatte ich Tränen in den Augen. Nach einer kurzen Pause fuhr ich fort: »Und wenn ich dich zu den Untersuchungen fahren will, dann sag nicht gleich, dass das nicht nötig ist, sondern versuch verdammt noch mal zu verstehen, dass es vielleicht nötig für mich ist!«
    Ich hatte noch nie so direkt mit ihm geredet, von Angesicht zu Angesicht. Meine Mutter saß schweigend mit verschränkten Armen da.
    Ich erwartete eine Antwort von meinem Vater. Er aber blieb stumm, stützte dann die Hände auf den Tisch, stand auf und ging wortlos nach nebenan, wo er sich in seinen Sessel setzte und den Fernseher

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