Zeit für mich und Zeit für dich
[166] Gefühlen gegenüber meinen Eltern aus. Und ein paar Tage später passierte dann etwas ganz Seltsames.
Es war an einem Sonntagmorgen gegen elf. Ich war spät aufgewacht, trank gerade einen Kaffee und sah aus dem Fenster. Ich puste gern in die Tasse und betrachte dabei die Stadt: Ich schenke ihr kleine Dampfwölkchen, während ich versuche, all meine Sinne zu beleben. Sonntagmorgens höre ich fast immer Musik – welche genau, hängt auch vom Wetter und von der Jahreszeit ab: James Taylor, Nick Drake, Cat Stevens, Bob Dylan, Eric Clapton, Carole King, Joni Mitchell, Cat Power, Norah Jones, Cesária Évora, Ibrahim Ferrer, Lucio Battisti.
An diesem Tag hatte ich Lust, einen Apfel zu essen. Ich schäle den Apfel gern an einem Stück, ohne abzusetzen, und konzentriere mich darauf. Während ich den Apfel mit dem Messer umkreiste, klingelte es an der Tür. Ich war fast fertig, beendete die Pusselarbeit in aller Eile und ging erst dann zur Sprechanlage: »Wer ist da?«
»Dein Vater… Ich komme wegen der Pflanzen.«
›Wegen der Pflanzen?‹, dachte ich verblüfft. Komisch… Damit hätte ich nie gerechnet. Er war erst einmal bei mir gewesen, zusammen mit meiner Mutter, direkt nach meinem Einzug.
»Komm rauf. Weißt du noch? Dritter Stock.«
Irgendwann hatte ich mal beim Abendessen bei ihnen erwähnt, dass ich, seit sie weg war, im Haushalt ein paar Sachen nicht auf die Reihe bekam. Zwei Dinge vor allem: Ich hatte keine Ahnung, wie man das Federbett in den Bezug bekommt und wie man die Pflanzen pflegt. [167] Das erste Problem löste ich, indem ich einfach die Decke nicht bezog, bei den Pflanzen mühte ich mich redlich, aber mit wenig Erfolg.
Auf diesen Besuch war ich nicht vorbereitet gewesen, schon gar nicht an einem Sonntagmorgen, in der stillen Wohnung. Mein Vater hatte seine Gartengeräte dabei, zwei Beutel Erde, einen Sack Kompost und Pflanzendünger.
»Ich hab dir zum Frühstück ein Croissant mitgebracht.«
»Mit dir hätte ich nun wirklich nicht gerechnet.«
»Hat Mama dir nicht Bescheid gesagt?«
»Nein. Möchtest du einen Kaffee?«
»Wenn du sowieso einen für dich machst, gern.«
Er öffnete die Balkontür, ging hinaus und stellte die Sachen ab.
Ich hielt die noch heiße Espressokanne unter kaltes Wasser und setzte neuen Kaffee auf, für ihn.
»Soll ich deinen Kaffee rausbringen, oder kommst du rein?«
»Bring ihn lieber raus, sonst mach ich dir drinnen alles schmutzig.«
Er hatte schon den Pullover ausgezogen – ein Geburtstagsgeschenk von mir, den ich zum ersten Mal an ihm sah. Meine Mutter musste ihn zu mir geschickt haben, um die Pflanzen in Ordnung zu bringen, und bestimmt hatte sie ihm auch diesen Pullover hingelegt. Wahrscheinlich hatte er längst vergessen, dass er ihn von mir bekommen hatte.
Als er fertig war, rief er mich auf den Balkon und [168] erklärte: »Manche Pflanzen kannst du ruhig vernachlässigen, die überleben auch so, hier die Geranien zum Beispiel. Und diese Sukkulenten da sind so genügsam, die brauchen praktisch gar keine Pflege. Aber die hier und die sind empfindlich, um die muss man sich mehr kümmern. Nächstes Mal, wenn du Pflanzen kaufst, solltest du die Sorten danach auswählen, wie viel Zeit du für ihre Pflege erübrigen kannst.«
»Die hab doch nicht ich gekauft, das war ihr Zeitvertreib.«
»Wie auch immer, jetzt gehören sie dir, du musst dich halt ein bisschen um sie kümmern. Die hier sieht ziemlich mitgenommen aus, aber eingegangen ist sie noch nicht: Siehst du die Stelle, wo ich abgeschnitten habe? Sie ist innen noch grün, die kannst du noch retten. Das Efeugitter habe ich auch wieder befestigt. Wo ich schon mal hier bin, hast du vielleicht noch andere Sachen zum Reparieren? Ich habe auch die Bohrmaschine im Werkzeugkasten.«
»Nein, ich glaube nicht.«
»Gut, dann gehe ich jetzt. Ruf an, wenn du was brauchst. Wenn du willst, komm ich ab und zu vorbei, um nach den Pflanzen zu sehen…«
»Ist gut.«
»Ciao.«
»Ciao… und danke!«
»Keine Ursache.«
Ich war verlegen wie ein Junge beim ersten Rendezvous.
Als er weg war, machte ich die Tür zu und sank [169] erschöpft aufs Sofa. Ich war hundemüde. Seine Anwesenheit in meiner Wohnung hatte mich so viel Kraft gekostet, dass ich mich fühlte, als hätte ich einen Umzug hinter mir.
Dann ging ich auf den Balkon und sah mir sein Werk an: die neue, frischgegossene Erde in den Töpfen, die Kletterhilfe für das Efeu, keine trockenen Blätter mehr. Alles picobello – und mir kamen die
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