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Zeit für mich und Zeit für dich

Zeit für mich und Zeit für dich

Titel: Zeit für mich und Zeit für dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
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sagen. Ich spürte, dass ich kurz davor war, die Beherrschung zu verlieren, dass es gleich aus mir herausbrechen würde, ein heftiger befreiender Weinkrampf. Trotz meiner Gegenwehr.
    Mein Vater nahm die Hand von der Schulter und ergriff meine Hand. Seit meiner Kindheit hatte ich seine Hände nicht mehr berührt.
    Ich wollte gerade den Widerstand aufgeben und mich gehenlassen, da überkam mich unerwartet ein seltsames Gefühl. Als würde meine Schwäche einer neuen Stärke weichen. Ich musste nicht mehr weinen. Bis zu diesem Augenblick hatte ich mich gefühlt wie ein Vater, der seinen Sohn begleitet. Seit er meine Hand genommen hatte, fühlte ich mich plötzlich als Sohn. Ich hatte meinen Vater gebraucht, und er war gekommen. Schweigend, meine Hand in der seinen, saß ich da und fühlte mich wohl. Noch nie war ich ihm so nahegekommen. Es war noch gar nicht lange her, da wäre mir eine solche Geste peinlich gewesen. Aber in diesem Moment überhaupt nicht.
    Ab und zu fuhr er mit dem Daumen über meinen Handrücken, als wollte er an seine Anwesenheit erinnern und die Geste bekräftigen.
    Als er seine Hand wegnahm, hatte ich das Bedürfnis, für einen Augenblick allein zu sein.
    [231]  »Ich muss mal auf die Toilette und kurz telefonieren. Sag Bescheid, wenn der Doktor kommt. Oder möchtest du lieber alleine gehen? Dann warte ich hier, wenn ich dich nicht mehr antreffe.«
    »Nein, ich werde dich rufen: Ich möchte, dass du mitkommst.«
    Ich ging zur Toilette und sah in den Spiegel. Ich wusch mir das Gesicht und ging wieder hinaus auf den Flur. Von weitem sah ich meinen Vater dort sitzen. Die Füße unter dem Stuhl, nur die Zehenspitzen berührten den Boden. Die verschränkten Hände hatte er zwischen die Knie gesteckt. Als ich diesen Mann so gebeugt dasitzen sah, im Angesicht seines Lebens, im Angesicht dieses Tages, der nicht vergehen wollte, schossen mir die Tränen in die Augen. Wie zuvor übermannte es mich einfach. Ich trat ans Fenster und wischte mir rasch die Tränen ab.
    Eine Weile blieb ich dort stehen und versuchte an etwas anderes zu denken. Ich musste warten, bis man meinen Augen nichts mehr ansah. In diesem Augenblick beschloss ich, bei ihr anzurufen. Bei der Frau, die ich liebe. Ich stellte die Funktion »Rufnummer unterdrücken« ein und wählte die Nummer. Ich richtete den Blick auf meinen Vater, dann auf die Nummer im Display, dann wieder auf meinen Vater. Schließlich drückte ich die Ruftaste.
    Nach zweimaligem Klingeln hörte ich nicht mehr nur mein pochendes Herz, plötzlich war da auch ihre Stimme: »Hallo?«
    In diesem Augenblick höchster Erregung stand mein [232]  Vater auf und winkte mich zu sich, weil wir an der Reihe waren.
    »Wer ist da?«
    Ohne etwas zu sagen, legte ich auf.

[233]  Sie (am Keksregal)
    Nachdem ich alles über die Krankheit meines Vaters erfahren und das Krankenhaus verlassen hatte, fuhr ich noch am selben Abend zu ihr. Ich musste sie einfach sehen, mit ihr reden, sie davon abbringen, diesen Scheißingenieur zu heiraten, und sie überzeugen, zu mir zurückzukommen. Seit dem Anruf am Morgen hatte ich vergeblich versucht, sie zu erreichen, aber sie hatte ihr Handy abgeschaltet. Bis drei Uhr nachts hielt ich vor ihrem Haus Wache. Die folgenden drei Abende auch. Sie hatte kürzlich die Stelle gewechselt, und ich wusste nicht, wo sie jetzt arbeitete. Jedenfalls kam sie nicht nach Hause. Vermutlich übernachtete sie bei ihm. Zusätzlich ging ich über eine Woche lang sowohl morgens auf dem Weg ins Büro als auch abends auf dem Heimweg bei ihr vorbei. Immer wenn ich irgendwohin musste, ging ich bei ihr vorbei, auch wenn es nicht auf dem Weg lag. Jedes Mal klingelte ich, aber nie machte sie auf.
    Um die Traurigkeit zu bekämpfen, die mich in diesen Tagen ergriffen hatte, ging ich eines Nachmittags in eine Eisdiele, wo es die beste Crema der Welt gibt. Ich nahm einen Becher mit Crema, Stracciatella und Haselnuss. Als ich mich dem Ausgang zuwandte, entdeckte ich auf der anderen Straßenseite einen Supermarkt.
    [234]  »Könnt ihr mir das Eis aufheben? Ich geh nur schnell einkaufen. In zehn Minuten bin ich wieder da…«
    »Kein Problem.«
    »Danke.«
    Ich brauchte nicht viel. Einkaufskorb, Nummer an der Wursttheke ziehen: die 33.
    »Nummer achtundzwanzig, bitte.«
    Gut.
    Ich machte meinen üblichen Rundgang. Plötzlich blieb mir das Herz stehen: Zwischen meinen Lieblingskeksen und dem Zwieback stand eine Frau mit Pferdeschwanz in einem blauen Kleid, mit hochhackigen Sandalen und

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