Zeit für mich und Zeit für dich
klar.
»Ich muss das Eis noch abholen… Erinnerst du dich noch an die Crema hier?«
»Ja, ich komme oft hierher. Ich wohne jetzt in dieser Gegend.«
»Wohnst du nicht mehr in deiner alten Wohnung?«
»Es ist immer noch meine Wohnung, aber seit kurzem wohne ich hier. Du weißt doch sicher, dass ich bald heiraten werde.«
»Ja, das weiß ich.«
»Wir wohnen hier, in der Wohnung von Fabrizio, meine werde ich aufgeben.«
Diesen Namen zu hören versetzte mir einen Stich. Sie hatte nicht einfach nur er gesagt. Warum nahm sie ihn so [238] wichtig? Ich erzählte ihr nicht, dass ich sogar zu seinem Büro gefahren war, um zu sehen, wie er aussah… und dass ich vor ihrer Wohnung vergeblich auf sie gewartet hatte.
Ich war fix und fertig. Ich mimte eine Gelassenheit, die ich nicht empfand, es ging mir miserabel. Das Reden fiel mir schwer. Ich weiß nicht, wie es dazu kam, aber plötzlich schlug ich vor: »Statt einen Kaffee zu trinken, könnten wir doch das Eis bei mir zu Hause essen, was meinst du?«
Sie sagte nicht sofort nein. Sie zögerte ein paar Sekunden. »Lieber nicht. Ich muss nach Hause.«
»Was hast du denn vor?«
»Nichts Besonderes.«
»Dann komm doch mit, dann siehst du auch die Wohnung mal wieder. Ich habe viel verändert. Wir essen das Eis, ich mache dir einen Kaffee, dann gehst du… und ich verspreche dir, dass ich auch nicht mehr anrufe und dich in Ruhe lasse.«
Sie sah mich an. »Das musst du mir auf jeden Fall versprechen, auch wenn ich nicht mitkomme. Wenn du mich wirklich gernhast, musst du mich in Ruhe lassen.«
Darauf sagte ich nichts. Ich wartete auf ihre Antwort. Ich war überzeugt, sie würde die Einladung ablehnen, aber inzwischen war sie so weit weg, dass ich nichts mehr zu verlieren hatte.
»Na gut… Ich komme mit.«
Eine Sekunde später lagen unsere Einkaufstüten einträchtig nebeneinander auf der Rückbank im Auto, obwohl für verschiedene Wohnungen bestimmt. Am [239] liebsten wäre ich mit ihr bis ans Ende der Welt gefahren. Aus dem Augenwinkel schielte ich auf ihre Beine und Füße. Das Eispaket hielt sie in der Hand. Ich hatte Angst, sie würde jeden Augenblick sagen, ich solle anhalten, sie habe es sich anders überlegt. Aber sie tat es nicht, sie war ganz gelassen.
»Wie geht’s Nicola?«
»Gut, er lebt jetzt mit einer Frau zusammen.«
»Nicola wohnt mit einer Frau zusammen?!«
»Ja, stell dir vor…«
Mit ihr die Treppe hochzusteigen war wie eine Reise in die Vergangenheit. Ich musste daran denken, wie wir zum ersten Mal zu meiner Wohnung hinaufgegangen waren, nach besagtem Abendessen. Wie wir damals übereinander hergefallen waren.
Doch nun war alles anders. Für mich nicht, aber für sie. Für mich hatte sich nichts geändert. Ich begehrte sie auch jetzt noch, ich hätte es gern genauso gemacht wie beim ersten Mal: Hätte sie einfach überrumpelt, sie geküsst und an die Wand gedrängt.
Aber mittlerweile stand die Wand zwischen uns.
[240] Schweigen mit Pausen
Mein Vater und ich saßen dem Arzt gegenüber.
»Schön, dass Sie auch da sind«, sagte er und fügte dann jovial hinzu: »Falls Sie in einem Werbespot zufällig eine Minirolle zu vergeben haben, ich bin dabei… Ich würde auch nicht viel verlangen.«
»Hängt davon ab, welche Nachrichten Sie für uns haben«, flachste ich zurück.
Er nahm die Akte in die Hand und begann zu lesen. »Dann wollen wir mal schauen…«
Wir schwiegen. Alle, auch der Arzt. Ich betrachtete seine Hände, die das Blatt hielten. Sie waren sonnengebräunt, und im Kontrast zu dem weißen Kittel kam das noch mehr zur Geltung. In Anbetracht der Nachricht, auf die wir warteten, und dessen, was wir durchmachten, hatte seine Sonnenbräune etwas Taktloses an sich. Ich versuchte jede kleine Bewegung in seinem Gesicht zu interpretieren. Ich starrte ihn an, vermochte aber nicht zu sagen, ob seine Miene nun ein Lächeln oder einen Ausdruck des Bedauerns darstellte.
Plötzlich brach mein Vater das Schweigen. »Herr Doktor, ich möchte, dass Sie ganz offen sind, ich will, dass Sie mir die Wahrheit sagen, ohne Umschweife.«
»Keine Angst, ich sage Ihnen alles klar und direkt.«
[241] »Danke.«
Nach weiteren Sekunden des Schweigens, die uns wie eine Ewigkeit vorkamen, räusperte er sich und sagte: »Was wir gefunden haben, ist bösartig.«
Die Welt schien stehenzubleiben. Ich konnte nur eins denken, nämlich dass mein Vater bald sterben würde. Und damit ein bisschen auch ich.
Der Arzt wirkte nicht bekümmert. Seine Worte
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