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Zeit für mich und Zeit für dich

Zeit für mich und Zeit für dich

Titel: Zeit für mich und Zeit für dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
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hierherzubegleiten.«
    »Na, dann habe ich dir ja schon viel geschenkt, wo du uns doch schon ewig hilfst.«
    Wir mussten grinsen.
    »Deine Mutter ist der einzige Traum in meinem Leben, der auch in Erfüllung gegangen ist. Deine Mutter und du. Aber du nur durch sie. Deine Mutter ist eine wunderbare Frau. Mit ihr habe ich wirklich Glück gehabt. Weißt du, bei dem Leben, das ich ihr geboten habe, hätte sie mich doch leicht verlassen und weggehen können, doch sie hat mir stets zur Seite gestanden. Als wir heirateten, ging es bei der Arbeit schon bergab. In der schlimmsten Zeit haben wir geheiratet, und dann wurde sie auch noch schwanger. Ich machte mir große Sorgen, dass ich für euch beide nicht würde sorgen können. Aber statt sich aufzuregen, hat deine Mutter mir immer gut zugeredet und gesagt, es würde schon werden. Nie hat sie sich beschwert. Auch ihre Eltern, also deine Großeltern mütterlicherseits, hätten Grund gehabt, mir Vorwürfe zu machen. Aber sie hielten sich zurück und hatten Verständnis für meine Lage. Sie haben uns auch oft geholfen.
    [228]  Wenn du in Ferien bei ihnen warst und deine Mutter dich sonntags besuchen kam, habe ich immer behauptet, ich müsse arbeiten. Aber das stimmte nur zum Teil, der eigentliche Grund war, dass ich mich vor ihnen schämte. Obwohl sie mir nie etwas vorgeworfen haben. Anständige Leute waren das.
    Mein Vater hatte mir zu Anfang Geld geliehen, und wenn er sich erkundigte, wie die Dinge standen, log ich ihn regelmäßig an. Alles bestens, sagte ich, dabei hätte ich ihn sofort um Hilfe bitten sollen, bevor es zu spät war, aber das habe ich mich nicht getraut. Um mir selbst nicht eingestehen zu müssen, dass ich gescheitert war, tat ich, als ob nichts wäre, und alles wurde nur noch schlimmer. Du kannst dir nicht vorstellen, wie schrecklich es für mich war, als ich ihm schließlich reinen Wein einschenken musste. Er brüllte, ich hätte sein Geld verschleudert, unfähig sei ich und solle mir gefälligst eine feste Stelle suchen: ›Ich hab dir ja gleich gesagt, das ist rausgeschmissenes Geld!‹ – Ach, ruf doch mal deine Mutter an und sag ihr, dass wir noch warten müssen.«
    »Mach ich.«
    Mitten im Gespräch streckte er die Hand nach dem Handy aus.
    »Warte, Papa will mit dir reden.«
    »Hallo… Nein, wir wissen noch nichts, wir waren noch gar nicht dran. Sobald wir fertig sind, rufen wir dich an… Ciao.«
    Im Grunde wiederholte er nur meine Worte und fügte nichts weiter hinzu, er wollte einfach nicht, dass meine Mutter sich Sorgen machte. Nachdem er mir das Handy [229]  zurückgegeben hatte, verstummte er. Die Minuten zogen sich endlos hin. Ich dachte über meinen Vater nach: dass er vielleicht sterben würde, versuchte mir vorzustellen, wie er auf dem Boden lag und Oma ihm einen Fuß auf den Rücken setzte oder wie er verstummte, wenn er mit meinem Großvater zusammen war.
    Dann wanderten meine Gedanken wieder zu ihr, der Frau, die mich verlassen hat und bald einen anderen heiratet. Selbst angesichts der schweren Krankheit meines Vaters ging sie mir einfach nicht aus dem Kopf und beherrschte meine Gedanken. Wie schön wäre es gewesen, wenn sie nach einem solchen Tag zu Hause auf mich gewartet hätte.
    Ich ging wieder dazu über, meinen Blick über den Flur schweifen zu lassen. Plötzlich wurde mir klar, dass unser Schweigen nichts anderes war als der unausgesprochene Wunsch zusammenzugehören. In diesem Moment legte mein Vater seine Hand auf meine Schulter, als wollte er sich abstützen, um aufzustehen. Aber er stand nicht auf. Er ließ die Hand dort liegen, ohne etwas zu sagen. Ich spürte seine Körperwärme. Hätte ich mich ihm zugewandt, wäre ich in Tränen ausgebrochen. Aber das durfte nicht passieren, nicht in diesem Augenblick. Ich musste stark sein, ich war doch hier, um ihm beizustehen, ihn zu unterstützen, ich musste mich der Situation gewachsen zeigen. Meine Augen fühlten sich an wie ein Staudamm, der ein Meer aus Tränen zurückhält. Und der Staudamm bröckelte, bekam langsam kleine Risse. Reglos saß ich da und konzentrierte mich darauf, den drohenden Gefühlsausbruch zurückzuhalten.
    [230]  Ich wollte mich umdrehen und ihn ansehen. Gern hätte ich ihn auch umarmt, aber es ging nicht, ich konnte es nicht. Noch nie habe ich das gekonnt. Aber irgendwann, ich weiß nicht, woher ich die Kraft nahm, brachte ich plötzlich doch etwas zustande: Ich legte die rechte Hand auf sein Bein. So saßen wir da, ohne uns anzusehen oder etwas zu

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