Zeit, gehört zu werden (German Edition)
interpretieren, das die Staatsanwaltschaft vorlegte. Sie gaben an, seine DNA sei am Tatort gefunden worden, weil er sich bemüht habe, Meredith zu helfen, und er sei fortgegangen, weil er Angst gehabt habe. Ich weiß noch, dass sein Anwalt sagte, Guede sei nicht zur Disco gegangen, um sich selbst ein Alibi zu verschaffen, sondern um Dampf abzulassen. Er sei nach Deutschland geflohen, weil er befürchtet habe, man werde ihn zu Unrecht beschuldigen.
Biscotti war ein kleiner Mann, der keksfarbene Anzüge trug. Sein graues, krauses Haar saß wie eine dicke Regenwolke auf seinem Kopf. Er wirkte, als wäre er überzeugt von dem, was sonst niemand glaubte. Er kenne Rudy, Rudy sei ein guter Junge, und weil er an die Unschuld seines Mandanten glaube, »sollte Rudy freigelassen werden«, sagte er.
Das Vorverfahren zog sich über fünfeinhalb Wochen hin – das war nicht weiter verwunderlich, denn es fand nur ein- oder zweimal pro Woche statt. Jedes Mal unternahm ich die klaustrophobische Fahrt im Gefangenentransporter, und wenn wir ankamen, musste ich die Übelkeit erregende Begegnung mit der Presse über mich ergehen lassen. Trotz meiner mittlerweile fortgeschrittenen Italienischkenntnisse waren die technischen Diskussionen über DNA für mich undurchschaubar. Ich war diese nervenaufreibende Routine leid. Für mich war es an der Zeit, dass ich auf freien Fuß gesetzt wurde und nach Hause konnte.
Meine Familie war ebenso optimistisch wie ich. Seit einem Jahr hatte ich im Gefängnis gesessen, und der Jahrestag schien ein angemessener Zeitpunkt für meine Entlassung. Doch je näher wir dem Ende rückten, desto pessimistischer wurden meine Anwälte. »Der Richter wird wahrscheinlich entscheiden, dass Sie des Mordes angeklagt werden müssen, weil diesem Fall so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird«, sagte Carlo. »Darauf müssen wir vorbereitet sein.«
Das brach mir das Herz. »Warum kann nicht alles im Vorverfahren geklärt werden?«
»Es ist komplizierter, Amanda. Wahrscheinlich werden Schöffen gebraucht. Wir werden Zeugen aufrufen müssen.«
Doch Luciano und Carlo gaben die Hoffnung nicht vollständig auf. »Kann sein, dass es gut ausgeht«, sagte Carlo. Ich klammerte mich an diese Chance.
Es gab Gründe, beunruhigt zu sein. Beweismaterial lag vor, das ich nicht erklären konnte: das Messer, meine »blutigen« Fußspuren, Raffaeles DNA an Merediths BH-Verschluss. Wie wollten wir gegen die Behauptung der Staatsanwaltschaft angehen, wir hätten den Tatort gesäubert? Jeden Abend legte ich mich schlafen und redete mir ein, dass es klappen würde, weil wir unschuldig waren – und weil es auf der Hand lag, dass Guede schuldig war und die Unwahrheit sagte.
Meine Anwälte legten ausführlich dar, dass Meredith und ich Freundinnen gewesen waren – dass keine Feindseligkeit zwischen uns geherrscht hatte. Sie brachten vor, dass wir keine Verbindung zu Guede hatten und Kokomani ein Geisteskranker sei. Doch der Fall hing von DNA ab, nicht von Logik.
Am 28. Oktober, dem letzten Tag, durfte ich für mich selbst sprechen. Da der Richter Englisch verstand, erhob ich mich und versuchte ohne meine Dolmetscherin zu erklären, was während meiner Vernehmung passiert war. Ich erzählte dem Richter, ich hätte nicht vorgehabt, Patrick zu beschuldigen oder Verwirrung zu stiften, doch das Verhör sei die brutalste, erschreckendste Erfahrung in meinem Leben gewesen. Zunächst einmal sei ich erschöpft und mit der Zeit sehr verängstigt und verstört gewesen. Meine Vernehmer hätten mir gesagt, es lägen Beweise dafür vor, dass ich in der Villa war; außerdem würde Raffaele nicht mehr für meinen Aufenthalt in jener Nacht bürgen. Ich hätte ein so furchtbares Trauma erlitten, dass ich von einer Amnesie befallen worden sei. »Ich habe denen geglaubt! Ich bin unschuldig!«, schrie ich.
Ich zitterte und war so nervös, dass ich nicht fortfahren konnte. Ich wollte nicht heulen, aber ich weinte hemmungslos. Die Erinnerung an die Vernehmung traf mich zutiefst. Ich war so sehr darauf erpicht, dieser Qual ein Ende zu bereiten, dass ich mich nicht zusammenreißen konnte. Danach hockte ich mich nach vorn gebeugt auf meinen Stuhl und schämte mich, die Kontrolle über meine Gefühle verloren zu haben. Luciano und Carlo tätschelten mir den Kopf und strichen mir über den Rücken. »Keine Bange«, beharrte Carlo. »Sie haben Ihre Sache gut gemacht.«
Als die Staatsanwaltschaft ihre Beweisführung abschloss, forderte Mignini lebenslänglich für
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