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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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würde.
    Die andere Person, die mir in dieser Zeit Hoffnung gab, war ein Italienisch-Professor von der University of Washington. Ich hatte noch nicht bei ihm studiert, aber er organisierte einen eigenen Kurs für mich, in dem ich italienische Dichtung und Kurzgeschichten lesen, schreiben und übersetzen konnte. Es deprimierte mich, wie viel Studienzeit ich verloren hatte, und ich war entschlossen, keine einzige Minute zu vergeuden. Du bist nach Italien gekommen, um Italienisch zu lernen, Amanda , sagte ich mir. Also tu das, und zwar 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche .
    Ich sagte denjenigen, die mich ignorierten, guten Morgen. Irgendwann bekam ich von einigen ein kurzes »Ciao« zurück. Die meisten schwiegen jedoch. Cera hatte ihnen befohlen, mir die kalte Schulter zu zeigen, und zu ihrem eigenen Schutz taten sie es.
    Frieden fand ich lediglich in meinem Kopf. Ich begann, nichts zu erwarten. Das einzig Überraschende war, dass hin und wieder eine andere Inhaftierte, wie Fanta, mich freundlich behandelte. So unerträglich das war, es zwang mich, eine gewisse Unabhängigkeit zu entwickeln und auf mich selbst zu vertrauen.

25
    Januar–März 2009
    D as Vorverfahren hatte der ersten Lesung eines Theaterstücks geglichen. Keine Kostüme, kein Publikum, keine Berichterstatter und nur sehr wenige Schauspieler. Es war in nichtöffentlichen Sitzungen abgehalten worden, und die Presse war nicht zugelassen gewesen. Die Anwälte hatten Anzüge getragen. Nur zwei Zeugen – die DNA-Analytikerin der Staatsanwaltschaft und ein Mann, der Rudy Guede, Raffaele und mich gesehen haben wollte – hatten ausgesagt.
    Das Hauptverfahren war für Raffaele und mich wie der Premierenabend. Ich war nicht auf das Spektakel vorbereitet. Der Prozess fand in Perugias Gerichtsgebäude statt, einem Bau aus dem fünfzehnten Jahrhundert, in einem großen Sitzungsraum, dem sogenannten Freskensaal – L’Aula degli Affreschi . Die Wände waren aus Stein, die Fenster reichten vom Fußboden bis zur Gewölbedecke. Hinter der Richterbank hing ein riesiges Kruzifix. Die beiden Richter, zwei Staatsanwälte und acht Rechtsanwälte trugen schwarze Roben mit Spitzenkragen, die sechs per Computer ausgewählten Schöffen – Leute mittleren Alters – Schärpen im Rot-Weiß-Grün der italienischen Fahne. Beim Prozess war die Presse zugelassen, und sie war da – 140 Mann stark.
    Drei Wachen, die nicht so aussahen, als würden sie mit sich spaßen lassen – eine vor mir, jeweils eine zu beiden Seiten –, führten mich durch die Tür im hinteren Teil des voll besetzten Gerichtssaals herein. Polizistinnen und Polizisten, darunter einige, die mich vor vierzehn Monaten vernommen hatten, saßen in einer Reihe an der Rückwand. Ich wusste, dass mich fast jeder Beobachter für schuldig hielt und leiden sehen wollte.
    Ein abgesperrter Bereich trennte die Zuschauer, Journalisten, Fernsehkameras und Fotografen von den Teams der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft einschließlich der beiden Angeklagten. Die Presse fotografierte und brüllte auf Englisch und Italienisch: »Amanda, Amanda, was haben Sie zu sagen?«
    Ich stieß die angehaltene Luft aus, als ich an Raffaeles und meinen Angehörigen vorbeiging. Sie saßen hinter den Tischen der Verteidigung, vor den Medienvertretern, und ihre Gesichter waren die einzigen freundlichen im Raum. Meine Mutter durfte erst nach ihrer Zeugenaussage als Zuschauerin in den Saal, aber ich sah Tante Christina und Onkel Kevin, die anstelle von Vater und Chris nach Perugia gekommen waren, und ihr Anblick erfüllte mich mit Dankbarkeit. Sie waren meine Rettungsanker. Ich winkte ihnen verhalten zu und schenkte ihnen ein breites Lächeln, um ihnen meine Freude über ihre Anwesenheit zu zeigen.
    Wie hätte ich ahnen können, dass dieses Lächeln in der Presse so dargestellt werden würde: »Amanda Knox strahlte, als sie in einen italienischen Gerichtssaal geführt wurde.« Die Daily Mail bauschte meinen normalen Gang auf: »Sie inszenierte ihren Auftritt wie eine auf dem roten Teppich einherstolzierende Hollywood-Diva.« Ich weiß nicht, ob sie die Dinge bewusst verdrehten, um die Auflage zu steigern, oder ob ihre Einstellung mir gegenüber von der Schuldvermutung geprägt war. Jeder, der die Zeitungen las oder die Fernsehberichte sah, würde hinterher glauben, das Mädchen namens Foxy Knoxy wäre amoralisch, psychotisch und verdorben – ein total verkorkster Mensch.
    An einem Ende des Raumes befand sich ein schwarzer

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