Zeit, gehört zu werden (German Edition)
amerikanischen Partners Douglas Preston, eines Schriftstellers, der sich mit dem Narducci-Fall befasst hatte und daraufhin aus Italien floh.
Meine Anwälte waren nie auf den Gedanken gekommen, dass es für uns einen Grund geben könnte, uns in der einen Stunde, die wir jede Woche über meinen Fall reden konnten, mit Migninis ausgefallener Vorgeschichte zu befassen. Carlo und Luciano erzählten mir das alles erst, als sich herausstellte, dass es für ihn ein Ave Maria zur Rettung seiner Karriere und seines Rufs war, den Prozess gegen Raffaele und mich zu gewinnen.
»Die ganze Geschichte ist doch total verrückt!«, sagte ich. Ich konnte es einfach nicht glauben. Mir wurde von einem Irren der Prozess gemacht, dem seine Karriere wichtiger war als meine Freiheit oder die Wahrheit über Merediths Ermordung!
Als wir Mitte September in den Gerichtssaal zurückkehrten, war ich ruhiger. Ich glaube, Raffaele ging es genauso. Die forensischen Dokumente der Anklage hatten die Fragen unserer Anwälte beantwortet.
Giulia Bongiorno, Raffaeles Anwältin, trat voller Zuversicht vor den Richter und hielt eine Rede, die mir noch mehr Anlass zum Optimismus gab. Dass uns die unaufbereiteten Daten bis zum 30. Juli vorenthalten worden seien, verletze die Rechte der Angeklagten. Hätten wir sie früher bekommen – als wir sie zum ersten Mal verlangt hatten –, wäre der Prozess von Anfang an anders verlaufen. »Für das Gericht stellt sich die Frage«, sagte Bongiorno, »ob der DNA-Test ausschlaggebend ist oder nicht. Wenn Sie die Frage verneinen, dann sind die Rechte der Verteidigung nicht verletzt worden. Aber wenn die DNA ausschlaggebend ist, müssen Sie sich fragen: Hatte die Verteidigung die Möglichkeit, die Daten zu prüfen, um den Schlussfolgerungen widersprechen zu können? Kannte die Verteidigung die Diagramme, die Elektropherogramme, die DNA-Menge, die Verfahren? Sie kennen die Antwort.
Wenn Sie davon ausgehen, dass die fehlenden Dokumente für die Verteidigung ausschlaggebend sind, müssen Sie die Anordnung zur Eröffnung des Verfahrens für nichtig erklären.«
Carlo machte da weiter, wo Bongiorno aufgehört hatte. »Es ist klar, dass die Rechte der Verteidigung nicht gewahrt wurden«, sagte er in einer festen Art, aus der seine Überzeugung sprach, dass die Richter und Schöffen ihm beipflichten würden. »Wäre ich im Besitz dieser Daten gewesen, hätte ich von vornherein eine andere Verteidigungsstrategie entwickelt.«
Die Argumente unserer Anwälte entfachten noch einmal meinen ganzen Zorn. Wie konnte die Anklage Raffaele und mich einundzwanzig Monate lang ohne jeden Grund im Gefängnis schmoren lassen? Wenn die Richter und Schöffen fair waren, würden sie erkennen, dass die Anklage uns behindert hatte.
Nachdem Carlo und Bongiorno die Beendigung des Prozesses beantragt hatten, schossen die Anklage und die Zivilanwälte zurück. Sie versicherten den Richtern und Schöffen, das forensische Beweismaterial sei hundertprozentig korrekt gesammelt und interpretiert worden, und fügten hinzu, es gebe einen »Berg von Beweisen« für unsere Schuld.
Carlo hatte mich vorgewarnt, dass Richter Massei den Prozess höchstwahrscheinlich nicht platzen lassen würde. Das Medieninteresse sei zu groß, und er sei von zu vielen Kontroversen umgeben. »Aber das macht nichts«, sagte Carlo. »Mit unserem Antrag haben wir das Gericht auf unsere Rechte aufmerksam gemacht. Es weiß jetzt, dass wir jedes Argument der Anklage widerlegen können und werden.«
Trotz Carlos Warnung, ich solle nicht mit einem schnellen Ende rechnen, schöpfte ich wieder Hoffnung. Ich hatte schon zwei eiskalte Winter und zwei drückend heiße Sommer hinter Gittern verbracht, hatte zwei Weihnachtsfeste und zwei Geburtstage zu Hause verpasst – zwei Jahre, die eigentlich aus sorgenfreien College-Tagen hätten bestehen sollen. Von den Mädchenjahren meiner jüngeren Schwestern hatte ich auch nichts mitbekommen. Lauter hoffnungsfrohe Möglichkeiten wirbelten in meinem Kopf umher. Was, wenn sie noch heute verlieren? Wenn das Gericht unseren Antrag annimmt, den Prozess abzubrechen? Könnte es damit vorbei sein? Vielleicht verlasse ich Capanne noch heute Nachmittag!
Dieser Tagtraum dauerte zehn Minuten. Jeder im Freskensaal stand zum zweiten Mal an diesem Tag auf. Der Richter und die Schöffen kehrten an ihre Plätze zurück. Mein Herz klopfte so heftig, dass ich es schlagen hörte. Bitte, bitte. Sagt, dass der Prozess vorbei ist!
Richter Massei rückte seine
Weitere Kostenlose Bücher