Zeit, gehört zu werden (German Edition)
wissen, dass wir auch den auf Blutspuren untersuchen werden?«, sagte sie.
»Okay«, sagte ich. Ihr schroffes Benehmen erstaunte mich.
Die Polizisten erklärten, sie könnten uns nicht wieder ins Haus lassen, weil das den Tatort verunreinigen würde. Bevor wir hinausgeschickt worden waren, hatte Filomena sorgfältig ihr Zimmer durchsucht, um festzustellen, ob etwas fehlte. Nachdem sie sich nun kurzzeitig beruhigt hatte, kam sie herüber und flüsterte, sie könne nicht ohne ihren Laptop gehen, den brauche sie für die Arbeit. Sie schlich wieder in ihr Zimmer – ich habe keine Ahnung, wie sie an dem Polizisten vorbeikam, der dort Wache stand –, schnappte sich das Gerät und brachte so den Tatort ein zweites Mal durcheinander. Marco stand in der Auffahrt. Er sah verloren aus. Paola und Luca hatten sich in den Wagen verdrückt, in dem es warm war.
Die Nachricht sprach sich bereits herum. Ich weiß nicht, wie. Ein paar Leute simsten mich an und fragten: »Was ist los?« Ich simste zurück: Ja, es sei unsere Villa, ja, es sei Meredith – unglaublich! Ich bemerkte, dass sich auf dem Parkplatz oberhalb unseres Hauses Fernsehteams eingerichtet hatten. Doch auf diese Distanz drang ihre Anwesenheit kaum zu mir durch.
Irgendwann gegen drei Uhr nachmittags versammelte die Polizei uns alle in der Auffahrt und befahl uns, aufs Revier – die questura – zu kommen, ein hohes, schlichtes, modernes, grauweißes Gebäude, ungefähr zehn Minuten entfernt, am Rand der Stadt.
Raffaele und ich fuhren bei Luca und Paola mit. Während der Fahrt überfiel mich auf einmal die Erkenntnis, dass es Merediths Körper sein musste, dass sie tot war. Es gelang mir nicht, sie zu verdrängen. Ich krümmte mich auf dem Rücksitz zusammen und schluchzte. Raffaele legte mir die Hand auf den Rücken, und Paola schaute zu mir herüber und sagte: »Ist schon gut, ist schon gut.«
Aber es war nicht gut.
7
Nachmittag des 2. November 2007,
erster Tag
A uf dem Polizeirevier hing nur eine Frage im Raum: Wer? Wer konnte das getan haben?
Als die Polizei daranging, die Antwort herauszufinden, lag es nahe, dass sie mit ihren Befragungen bei mir begann. Immerhin war ich die erste Person gewesen, die an diesem Vormittag nach Hause gekommen war. Ich konnte es kaum erwarten, ihnen alles mitzuteilen, was mir aufgefallen war, angefangen mit der offenen Haustür und den Blutstropfen im Waschbecken.
Sie führten mich durch den Warteraum in ein schmuckloses Büro – lang und schmal, mit einem kleinen Fenster am anderen Ende. Während der ersten Stunde wurde ich auf Italienisch befragt, aber es fiel mir so schwer, ihnen zu folgen und alles zu erklären, dass sie für die nächsten fünf Stunden einen Kriminalbeamten holten, der gut Englisch sprach. Wir waren allein in dem Raum und saßen uns an einem schlichten, hölzernen Schreibtisch gegenüber. Ich beschrieb alles, was mir einfiel. Einige Fragen, die er stellte, lagen auf der Hand. Andere kamen mir irrelevant vor. »Für die Ermittler könnte alles eine Spur sein«, sagte er. »Verschweigen Sie nichts, auch wenn es Ihnen belanglos erscheint. Das kleinste Detail ist wichtig. Man weiß nie, welcher Hinweis entscheidend dazu beitragen wird, die Person zu finden, die das getan hat.«
Er fragte, und ich beeilte mich zu antworten.
»Wie haben Sie Meredith kennengelernt? Wie lange sind Sie schon in Perugia? Hatte Meredith einen Freund? Was wissen Sie über die jungen Männer, die im Untergeschoss wohnen? Wo hat Meredith gern gefeiert? Wann haben Sie Ihre Mitbewohnerin zum letzten Mal gesehen? Wohin wollte sie? Um wie viel Uhr hat Meredith das Haus verlassen?«
»Gestern Nachmittag. Ich weiß nicht, wohin sie gegangen ist. Sie hat es uns nicht gesagt.«
»Was haben Sie und Raffaele gestern Nachmittag und gestern Abend gemacht?«
»Wir haben erst bei mir und dann in Raffaeles Wohnung herumgehangen.«
Er setzte mich nicht unter Druck. Er hörte nur zu.
Es kam mir wie eine einfache, unkomplizierte Befragung vor. Ich war zu naiv, um mir vorstellen zu können, dass die Kriminalbeamten den Verdacht hegten, der Mord sei von jemandem aus Merediths unmittelbarem Umfeld begangen und der Einbruch nur vorgetäuscht worden.
Ich konnte nicht wissen, dass Raffaeles und mein Verhalten den Beamten der polizia postale verdächtig erschienen war. Der Kriminalbeamte sagte nichts davon. Er ließ auch nicht durchblicken, dass die Polizisten der Mordkommission uns schon eingehend zu beobachten begonnen hatten, bevor wir die
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