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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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»nein, nein, nein« sagte. Das habe ich schon immer so gemacht, wenn ich meine Wut nicht im Zaum halten konnte.
    Der englischsprechende Kriminalbeamte, der die Abnahme der Fingerabdrücke beaufsichtigt hatte, kam zu mir und mahnte: »Sie müssen sich beruhigen, Amanda.«
    Ich verspürte das überwältigende Bedürfnis, bei der Ergreifung des Mörders zu helfen. Ich wollte dafür sorgen, dass er – ich nahm an, es war ein Er – den Rest seines Lebens im Gefängnis verbrachte. Er sollte sein Verbrechen jede Stunde jedes einzelnen Tages bereuen. Bis in alle Ewigkeit.
    Wie konnte das geschehen, dachte ich immer wieder. Wieso gerade Meredith? Sie war kein Mensch, der sich Feinde machte. Sie war in unserem Haus ermordet worden – in ihrem eigenen Zimmer. Sie war zu Hause gewesen, wo sie in Sicherheit hätte sein sollen. Mir war übel. Die grundlegende Reaktion des Körpers auf Stress besteht darin, zu kämpfen oder zu flüchten, und ich war in diesem Moment voll auf Kampf gepolt.
    Und wenn meine natürliche Reaktion nun darin bestanden hätte zu flüchten? In den folgenden Tagen kam mir gar nicht in den Sinn, dass ich tatsächlich nach Hause hätte zurückkehren können, um meine Kräfte zu sammeln und meinen Beitrag zu den Ermittlungen aus der Ferne zu leisten, und dass ich damit vielleicht sogar das Richtige getan hätte.
    Während ich im Flur weiter hin- und herlief, verschlangen sich meine Gedanken immer wieder in sich selbst und beschrieben schnelle, abrupte Wendungen: Was war geschehen? Wer würde von der Toilette aufstehen, ohne seine Exkremente wegzuspülen? Warum waren Lauras Zimmer und meines nicht angerührt worden? Wieso war Filomenas Computer noch da? Hatte Meredith ihren Angreifer gekannt? Wie konnte das geschehen? Wie? Wie? Wie?
    Ich nahm wieder neben Sophie Platz, konnte aber nicht still sitzen. »Ich kann mir nicht vorstellen, wer so was tun würde«, sagte ich. »Es ergibt für mich einfach keinen Sinn.«
    Der Kriminalbeamte, der immer noch dort stand, erwiderte: »Wir werden versuchen, es so schnell wie möglich herauszufinden. Alles, woran Sie sich erinnern können, wird uns helfen.«
    Als wir wieder nach oben in den Warteraum gingen, riefen mich meine Angehörigen an, einer nach dem anderen. Ich spreche manchmal zu laut, wenn ich aufgeregt bin. Als ich ihnen an diesem Abend von den Vorgängen erzählte, war es nicht anders. Aber ich merkte es nicht. Ich musste meine Geschichte für jeden Anrufer wiederholen – dass ich als Erste nach Hause gekommen war und nichts von dem Einbruch bemerkt hatte, dass Raffaele und ich die Polizei gerufen hatten.
    Mein Stiefvater Chris meinte: »Der Mörder könnte euer Haus tagelang beobachtet und gesehen haben, dass Meredith allein war. Vielleicht weiß er auch, wo Raffaele wohnt. Du musst vorsichtig sein! Achte darauf, was um dich herum vorgeht. Und sieh zu, dass immer jemand bei dir ist.«
    Mein Vater sagte: »Ich wünschte, ich könnte dich in die Arme nehmen und dich beschützen.« Er bat darum, mit Raffaele sprechen zu dürfen.
    Mein Vater kann keine zwei Wörter Italienisch, aber Raffaele verstand ihn und stimmte zu, als mein Vater sagte: »Danke, dass du dich für mich um Amanda kümmerst, Raffaele. Bitte pass auf, dass ihr nichts passiert.«
    Wenn ich nicht telefonierte, marschierte ich auf und ab. Als ich an Natalie Hayworth, einer von Merediths Freundinnen, vorbeikam, sagte sie gerade: »Hoffentlich hat Meredith nicht gelitten.«
    Immer noch in Rage, drehte ich mich um und starrte sie an. »Wie sollte sie nicht gelitten haben? Jemand hat ihr die Kehle durchgeschnitten, verdammt noch mal. Verfluchte Scheißkerle.«
    Ich war zornig und schonungslos. Ich konnte nicht verstehen, wieso die anderen so ruhig blieben. Außer mir lief niemand herum. Niemand sonst murmelte vor sich hin oder fluchte. Alle waren so beherrscht. Anfangs hatte ich nicht genug Emotionen gezeigt, dann wieder zu viel. Es kommt mir vor, als wäre alle Freundlichkeit, mit der ich mich umgeben hatte, langsam entwichen wie Luft aus einem kaputten Reifen, ohne dass ich es auch nur bemerkt hätte.
    Raffaele dachte vermutlich, ich hätte einen Nervenzusammenbruch. Er setzte mich auf seinen Schoß und schaukelte mich sanft. Er küsste mich, schnitt mir Grimassen und erzählte mir Witze, behandelte mich wie ein kleines Kind, damit ich wieder auf den Teppich kam und nicht weiter herumstürmte.
    Ich sage es nur höchst ungern, aber es half, dass er mich so behandelte. Normalerweise würde mich das

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