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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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Auffahrt verließen.
    Heute ist mir klar, dass ich in einem Katz-und-Maus-Spiel die Maus war. Während ich jede Kleinigkeit, die ihnen bei der Suche nach Merediths Mörder helfen konnte, ans Licht zu holen und zugleich den Schock ihres Todes zu verarbeiten versuchte, beschloss die Polizei, Raffaeles Handy und meines zu verwanzen.
    Als ich so dasaß und darauf wartete zu erfahren, was die Polizei sonst noch von mir benötigte, fragte ich den Kriminalbeamten, ob es stimme, dass es sich bei dem Mordopfer um Meredith handelte. Ich konnte noch immer nicht von der wenn auch nur leisen Hoffnung lassen, dass die Tote in ihrem Zimmer nicht Meredith gewesen war, dass sie noch lebte.
    Der Kriminalbeamte nickte und fuhr sich mit dem Finger in einer Schneidebewegung über den Hals.
    Ich schlug die Hände vor den Mund und schüttelte den Kopf. Nein . »Ich kann es einfach nicht glauben«, sagte ich leise.
    Er nickte erneut – nüchtern – und schaute mir dabei in die Augen.
    Danach wurde ich in den Warteraum geschickt. Dort wimmelte es von Merediths Freundinnen und Freunden. Alle weinten, redeten, liefen herum und versuchten, das Unfassbare zu begreifen. Merediths englische Freundinnen, darunter Sophie, Amy und Robyn, mit denen ich an meinem ersten Tag in der Stadt zu Abend gegessen hatte, saßen in einer Gruppe zusammen. Der Besitzer des Merlin war auch da. Laura war aus Rom zurückgeholt worden. Die Jungs aus der Wohnung im Untergeschoss hatten das freie Wochenende ein paar Stunden entfernt in ihrer Heimatstadt verbringen wollen. Sie fuhren mit dem Zug nach Perugia zurück, als sie telefonisch von Merediths Tod benachrichtigt und aufgefordert wurden, in die questura zu kommen. Giacomo, Merediths neuer Freund, war vom Kummer gezeichnet.
    Alle hatten Fragen: »Was hast du gesehen? Was weißt du?«
    Hilfsbereit gab ich ihnen alle Informationen, die ich besaß; viele davon sollten sich als falsch erweisen. So dachte ich immer noch, Merediths Leiche wäre im Kleiderschrank gefunden worden.
    Als ich meine Mitbewohnerin Laura zum ersten Mal wiedersah, hatte sie keine Tränen in den Augen. Sie kam zu mir, nahm mich in die Arme und sagte: »Ich kann es nicht glauben. Es tut mir so leid. Ich weiß, Meredith war deine Freundin.« Dann setzte sie sich mit mir hin und sagte: »Die Sache ist wirklich ernst, Amanda. Denk daran: Kein Wort zur Polizei, dass wir bei uns Marihuana geraucht haben.«
    Man darf die Polizei nicht belügen, ging mir durch den Kopf. Aber ich dachte beklommen einen Moment lang darüber nach und erwiderte dann: »Okay, ich hab noch nichts davon gesagt. Und ich werd’s auch nicht tun. Glaubst du, sie erlauben uns, unsere Sachen aus dem Haus zu holen?«
    »Hoffentlich«, sagte Laura. »Filomena und ich reden mit unseren Anwälten darüber.«
    Ich kam gar nicht auf die Idee – ebenso wenig wie meine Eltern, die mich ununterbrochen anriefen –, dass ich mir vielleicht auch einen Anwalt nehmen sollte. Schließlich hatte ich ja nichts zu verbergen.
    Merediths Freundinnen saßen eng beieinander. Sophie kam herbei und umarmte mich. Ich war in diesem Moment zu erledigt, um die Geste zu erwidern. Meine ausbleibende Reaktion kam in dieser angespannten Situation jedoch nicht gut an, ebenso wie vieles, was ich danach tat; dabei war ich einfach nur so, wie ich bin. Zusammen mit meinen fehlenden Tränen wurde dieses ungewöhnliche Verhalten als Indiz dafür gewertet, dass ich nichts für Meredith empfand. Sophie erklärte dann, sie habe Meredith am Vorabend auf dem größten Teil des Heimwegs begleitet und sei deshalb die letzte Person, die sie lebend gesehen habe.
    Gegen drei Uhr morgens führte ein Polizist die englischen Mädchen und mich nach unten, wo uns die Fingerabdrücke abgenommen werden sollten. »Wir müssen wissen, welche Fingerabdrücke wir ausschließen müssen, wenn wir die Spuren im Haus sichern«, sagte er.
    Sie brachten uns nacheinander in einen Raum und betupften unsere Fingerspitzen mit einem schwarzen, teerähnlichen Sirup. Als ich herauskam, saß Sophie auf einem Stuhl neben der Tür und schluchzte. Ich versuchte, meinen vorherigen Mangel an Wärme wettzumachen. »Tut mir so leid, das mit Meredith«, sagte ich. »Wenn du etwas brauchst, hier ist meine Nummer.«
    Und plötzlich erwachte ich aus dem tiefen Schock. Mich befiel gerechter Zorn auf Merediths Mörder. Ich fing an, im Flur auf und ab zu marschieren. Ich war so wütend, dass ich zitterte, mir mit dem Handballen gegen die Stirn schlug und immer wieder

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