Zeit, gehört zu werden (German Edition)
niemals einer Bande angehört; ich hatte keine gewalttätige Vergangenheit.
Aber es gab immer weitere Unwahrheiten – kolportiert aus dem Büro der Staatsanwaltschaft.
Mitte November verkündete die Presse, der gestreifte Pulli, den ich in der Mordnacht getragen hatte, sei verschwunden, was den Gedanken nahelegte, ich hätte ihn weggeworfen, weil Blutflecken darauf waren. In Wirklichkeit hatte ich ihn auf meinem Bett liegen lassen, als ich am 2. November vormittags zum Umziehen nach Hause gekommen war. Die Ermittlungsbeamten fanden ihn dann auch im Januar 2008 – an genau derselben Stelle, wo ich ihn hingelegt hatte. Er war deutlich auf den Fotos zu erkennen, die von meinem Zimmer gemacht worden waren und die meine Anwälte zwischen all den offiziellen Gerichtsdokumenten entdeckten, welche im Laufe der Untersuchung hinterlegt wurden. Die Staatsanwaltschaft ließ stillschweigend den »fehlenden Pullover« als Gegenstand der Untersuchung fallen, allerdings ohne die Falschmeldung öffentlich zu korrigieren. Da meine Anwälte überzeugt davon waren, dass ein Streit in den Medien unsere Glaubwürdigkeit vor Gericht schwächen würde, ließen Carlo und Luciano die Story so stehen.
Dinge, die nie passiert waren, wurden als Tatsachen kolportiert. Die Boulevardpresse schrieb, ich hätte meinen argentinischen Liebhaber in einem Waschsalon kennengelernt, wo ich meine blutbefleckten Klamotten wusch. Unrichtig .
Ein italienischer Nachrichtenkanal meldete, Kameras am Dach der Garage gegenüber unserer Villa hätten eine junge Frau mit einem bunten Rock oder Kleid aufgenommen, angeblich mich, wie ich um 18.43 Uhr am Abend des Mordes aus der Garage trat. Unrichtig .
Die Polizei ließ diese Geschichte an die Lokalpresse durchsickern, von wo aus sie gehörig Wellen schlug. Wäre sie wahr gewesen, hätte sie mein Alibi erschüttert. Aber in jener Nacht hatte ich Raffaeles Wohnung nicht verlassen. Die lokalen Schlagzeilen in jenen Tagen lauteten oft »Amanda smentita« – »Amanda bei Lüge ertappt«. Dies stützte die staatsanwaltliche Charakterisierung meiner Person als einer verdorbenen, hinterlistigen jungen Frau, die eines Mordes fähig war.
Später befanden die Ermittler, die Videobilder seien nicht scharf genug für eine Identifizierung, womit es der Verteidigung leicht gemacht würde, dieses Beweismittel zu zerpflücken. Aber der Schaden war bereits angerichtet.
Die Presse berichtete, laut polizeilichen Angaben hätten Raffaele und ich die Festplatten von vier Computern zerstört – seine, meine, die von Filomena und die von Meredith. Unrichtig .
Als ein Experte die Computer später untersuchte, stellte er fest, dass die Polizei sie geschrottet hatte. Ob mit Absicht oder aus außerordentlicher Unfähigkeit, habe ich nie herausgefunden. Aber ich kann mir nur schwer vorstellen, wie man aus Versehen vier Festplatten löscht, eine nach der anderen. Mein Computer hätte mir sowieso kein Alibi gegeben. Die Ermittler hätten nichts anderes gefunden als Beweise für die Freundschaft zwischen Meredith und mir – Fotos vom Festival Eurochocolate und vom Abhängen zu Hause.
Journalisten berichteten, die Polizei habe belastende Quittungen für Bleichmittel gefunden, angeblich vom Vormittag des 2. November. Unrichtig .
Die Quittungen sollten zeigen, dass Raffaele und ich Bleichmittel – also Haushaltsreiniger – gekauft und die Mordnacht damit verbracht hatten, den Tatort zu säubern.
Vier dieser Quittungen trugen Daten aus den Monaten vor meiner Ankunft in Perugia, und Bleichmittel gehörten nicht zu den gekauften Artikeln. Die letzte stammte vom 4. November – zwei Tage, nachdem Merediths Leiche gefunden worden war. Und da handelte es sich nicht um Bleichmittel, sondern um Pizza. Aber keine einzige Zeitung korrigierte ihre Version oder berichtete die Wahrheit.
Es schien eine endlose Reihe von Schlagzeilen zu geben – als würden immerzu Kamellen in die Menge geworfen. Neue Beweise! Amanda hat dies und das gesagt! Sobald die Polizei ihnen ein Häppchen angeblicher Neuigkeiten vorsetzte, wurde die vorhergehende Schlagzeile ausgetauscht. Die Medien schienen weniger daran interessiert zu sein, diese oder jene Behauptung zu untersuchen, als sie einfach zu plakatieren. Und die Sensationsgier ließ sich in einem anderen Land als seriöse Nachricht zweitverwerten.
Dennoch war keine Behauptung der Ermittler so unbegreiflich, so vernichtend für mich wie die Geschichte mit dem Messer.
Als ich den Artikel in Argiròs Büro
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