Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
Vom Netzwerk:
konnten, wie falsch die Staatsanwaltschaft lag. Aber ich glaube auch, dass ihre Beteuerungen den Zweck hatten, mich davon abzuhalten, in eine Krise zu trudeln, da ich sie ja nur einmal pro Woche sah.
    Die Angst schnürte mir tatsächlich die Luft ab. Das Messer war meine erste finstere Ahnung davon, dass die Untersuchung nicht so lief wie erwartet. Ich hatte die Möglichkeit, dass die Polizei voreingenommen gegen mich war, nicht akzeptieren können. Und ich glaubte immer noch, die Staatsanwaltschaft würde irgendwann herausfinden, dass dieses Messer nicht die Mordwaffe war und ich nicht die Mörderin. Im Nachhinein ist mir klar, dass die Polizei fest entschlossen war, die Beweise zu ihrer Theorie des Tathergangs passend zu machen, statt andersherum, und zu dieser Theorie gehörte nun einmal meine Beteiligung. Aber irgendetwas in mir weigerte sich, den Zusammenhang zu sehen.
    Kurz nachdem das Messer-Thema in den Schlagzeilen erschienen war, kam die Polizei ins Gefängnis, um meine Handtasche zu beschlagnahmen. Ich wurde ins Erdgeschoss hinuntergeführt, um den Vorgang zu bezeugen und ein weiteres Dokument zu unterschreiben. Die Beamten nahmen alles mit, was nach der Vernehmung übrig geblieben war – meine Lehrbücher und Notizhefte für die Uni, meinen Geldbeutel, einen Gedichtband, den ich gerade las, mein Tagebuch.
    Mein Tagebuch dürfte das gewesen sein, wonach sie suchten, weil Merediths Freundinnen nach meiner Verhaftung ausgesagt hatten, ich hätte im Warteraum der questura etwas hineingeschrieben. Das hatte ich auch getan, und zwar, um mich zu beruhigen, aber schon bald wurde der Inhalt der Presse zugespielt. In diesem Heft stand, ich würde gern einen Song schreiben – als Hommage an Meredith. Dies wurde als Trivialisierung ihres Todes interpretiert. Ich hatte geschrieben, für eine Pizza könnte ich einen Mord begehen. Mein Galgenhumor wurde als weiterer Beweis für meine Verderbtheit betrachtet. Ironischerweise bekam ich dann die Rechnung für die Übersetzung ins Italienische.
    Es war der Polizeibeamte, der auch sonst ins Gefängnis kam, wenn die Staatsanwaltschaft noch ein Stück von meinen Habseligkeiten beschlagnahmen oder ein Dokument über forensische Analysen unterschreiben lassen wollte – ein unrasierter, übergewichtiger Mann mit Bürstenschnitt; der Mann, der während meiner Vernehmung geglaubt hatte, ich hätte »Fuck you!« zu ihm gesagt, und dasselbe zurückgebrüllt hatte.
    Er fragte mich, ob ich die Nachrichten über die Mordwaffe gelesen hätte. Ich starrte ihn wütend an.
    »Das ist ein Irrtum«, sagte ich. »Ich war nicht mal in Merediths Nähe, als sie ermordet wurde, und Raffaeles Messer genauso wenig.«
    Der Polizist schüttelte den Kopf und lachte höhnisch. »Noch eine Story? Noch eine Lüge?«, spottete er.
    Seine Augen durchbohrten mich, als wäre ich das abscheulichste, nichtswürdigste Wesen, mit dem er es je zu tun gehabt hatte. Niemand hatte mich je mit so viel Hass angestarrt. Für ihn war ich eine verlogene, kaltblütige Mörderin. Aber ich hielt die riesige Welle von Wut zurück, hielt durch, bis ich wieder in meiner Zelle war, bevor mich die ganze Gemeinheit einholte – im Gefängnis zu sein, meine Freundin tot, während die Polizei eine kalte Spur verfolgte, weil sie nichts Besseres aufgetan hatte.

18
    10.–29. November 2007
    W ährend meiner ersten Tage im Gefängnis hätte ich jede Ablenkung willkommen geheißen, doch der Fernseher war abgedeckt und zum Tabu erklärt worden. Als ich mit Gufa zusammengelegt wurde, verwandelte sich die verordnete Nachrichtensperre in ein Sperrfeuer. Der Fernseher plärrte praktisch ununterbrochen.
    Lupa, die agente, die mir in meiner ersten Zeit in Capanne eine so große Hilfe gewesen war, hatte mir zur Vorsicht geraten. »Die Medien berichten Schreckliches über Sie. Hören Sie gar nicht hin«, riet sie mir. »Das regt Sie nur auf.«
    Sie hatte recht.
    Mein Italienisch war noch immer rudimentär, und wenn ich nicht genau hinhörte, begriff ich nicht viel von dem, was gesagt wurde. Ich hielt mich an meine neue Routine – so viele Sit-ups, wie ich schaffte, außerdem schreiben, lesen, pauken –, als glaubte ich, gegen die Berichte immun zu werden, wenn ich sie nur ignorierte. Sie konnten mich nicht verletzen. Was immer die Medien über mich verbreiteten, war für den Prozess irrelevant, redete ich mir ein. Es spielt keine Rolle! Doch in meinem Herzen und in meinem Kopf wusste ich, dass das nicht stimmte.
    Den Fernseher geistig

Weitere Kostenlose Bücher