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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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wurden veröffentlicht sowie ein Video, das mich betrunken zeigt. Das waren Momentaufnahmen aus meiner Zeit als Teenager und am College.
    Nicht gezeigt wurden die Fotos, auf denen ich zum Beispiel Fahrrad fahre, Weihnachtsgeschenke aufmache, Fußball spiele oder bei der Aufführung von The Sound of Music an der Highschool auf der Bühne stehe. Im Grunde genommen würde man ein typisches amerikanisches Mädchen vor sich sehen – nicht so handzahm wie manche, nicht so experimentierfreudig wie viele andere. Typisch für meine Altersgruppe war außerdem das schlechte Urteilsvermögen, das uns dazu brachte, unser Leben ins Netz zu stellen. Mit zwanzig konnte ich nur denken: Wer schreibt solche Artikel? Gibt es denn keine Gerechtigkeit?
    »Foxy Knoxy, das Mädchen, das mit der eigenen Mutter um Männer wetteifern musste«, stand in der englischen Tageszeitung Daily Mail . Der Verfasser mutmaßte, dass ich mich wegen der Ehe meiner Mutter mit Chris, einem Mann, der »jung genug« sei, »um [mein] Bruder zu sein«, immer stärker abgelehnt gefühlt hätte, was schließlich in Merediths Tod »kulminierte«. Geflissentlich wurde jener Teil meiner Myspace-Seite übersehen, in dem es um »die wichtigsten Personen für Foxy Knoxy« geht. Meine Antwort lautete: »Meine Mom.«
    Meine angeblich zwanghafte sexuelle Freizügigkeit brachte Hunderte von Artikeln in drei Ländern hervor, die größtenteils auf den von der Polizei an die Presse weitergegebenen Informationen basierten. Allem Anschein nach veröffentlichte die Staatsanwaltschaft alles Mögliche, nur um ihre Theorie eines aus dem Ruder gelaufenen Sexspiels zu stützen. Sie lieferte Beschreibungen, wie Raffaele und ich in der questura öffentlich unsere Zuneigung zur Schau gestellt hatten, sowie Zeugenaussagen, in denen ich als ein Mädchen geschildert wurde, das fremde Männer mit nach Hause brachte. Woher diese Informationen auch stammten – die Einzelheiten ergaben eine schlüpfrige Geschichte: attraktive Studentinnen, Sex, Gewalt, kriminelle Energie.
    Ich wurde zur Verkörperung weit verbreiteter Ängste und Fantasien von einer sexuell aggressiven Frau. Dass ich mit zwei Jungs in Perugia geschlafen hatte, die ich nicht gut kannte, bestritt ich nicht. Aber ich hatte mir keine Männer gesucht, weil ich sexbesessen war. Ich experimentierte zwar mit meiner Sexualität, fühlte mich diesen Männern aber tatsächlich verbunden. Dass ich als Femme fatale beschrieben wurde, erstaunte mich maßlos. Ich? In echt? Ausgerechnet ich?
    Neben meiner übertrieben dargestellten sexuellen Geschichte fanden die Leute es aufreizend, dass ich nicht wie eine verkommene Mörderin aussah. In der Presse hieß es »Der Engel mit den Eisaugen« oder »Das Gesicht eines Engels und die Seele eines Teufels«. Auf einmal hatte ich eine »dunkle Seite«.
    Seitdem ich in Capanne war, erhielt ich laufend Fanpost – von Menschen, die mich für unschuldig hielten, aber auch von Fremden, die behaupteten, sich in mich verliebt zu haben. Ich wusste die ermutigenden Briefe zu schätzen und war schockiert – und verblüfft – über die anderen. Mir schien, als hätten diese Männer – häufig selbst Inhaftierte – mir aus Versehen geschrieben. Ihr leidenschaftliches, manchmal pornographisches Gekritzel hatte nichts mit mir zu tun, sondern einzig und allein mit dem gruseligen, hypersexuellen Geschöpf aus den Medien. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich mit derart perverser Aufmerksamkeit überschüttet würde. Und dass ich nun umwerfend sexy sein sollte, war mir neu.
    Vice commandante Argirò machte immer eine große Sache daraus, wenn er meine Post öffnete, wobei er mir zuzwinkerte und auf mich einschwätzte, wie viele Bewunderer ich doch hätte. Aber ich erhielt mindestens ebenso viele Hassbriefe wie unterstützende und anzügliche Briefe zusammengenommen. Manche erschreckten mich, besonders die gekrakelten Notizen ohne Absender, in denen es hieß, man wisse, wo meine Eltern sich aufhielten, und werde ihnen das Gesicht zerschneiden. Wenn sie es nun wirklich durchzogen? Ich warnte meine Mutter, vorsichtig zu sein und nachts die Fenster zu schließen. Nach einem besonders bedrohlichen Brief machte ich Argirò darauf aufmerksam – in der Hoffnung, er werde meine Mutter sofort alarmieren. »Vergessen Sie es«, sagte er wegwerfend, »das sind doch bloß Worte.«
    Entsetzlich für mich war, dass meine Mutter und mein Vater ihr normales Leben aufgegeben hatten, um nach Italien zu kommen, und dass

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