Zeit, gehört zu werden (German Edition)
nur eingestellt, um Cocktails zu servieren, sondern auch, um Gäste anzulocken. Er kürzte meine Arbeitstage, weil ich eine mittelmäßige Kellnerin war und nicht gut genug flirten konnte, um seinen Umsatz anzukurbeln. Dann, nach dem Mord an Meredith, hatte ich gekündigt, weil ich Angst davor hatte, nach der Arbeit im Dunkeln allein unterwegs zu sein.
Ich verstand vollauf, warum er wütend auf mich war. Ich hatte seinen Ruf, seinen Lebensunterhalt und wahrscheinlich sogar sein Leben in Gefahr gebracht. Mir war übel vor Schuldgefühlen. Ich dachte, er verdiente eine Erklärung und eine Entschuldigung von mir. Als ich meine Anwälte fragte, ob es in Ordnung sei, wenn ich ihm schriebe, schüttelten sie den Kopf. »Ich fürchte, so leicht ist es nicht mehr«, erklärte Carlo. »Patricks Anwalt wird alles, was Sie Patrick schicken, der Presse aushändigen.«
Jegliche Kommunikation mit Patrick würde veröffentlicht, genau geprüft und gegen mich verwendet werden, vor allem, wenn ich erklärte, warum ich Patricks Namen genannt hatte. Ich müsste darlegen, wie die Polizei mich unter Druck gesetzt hatte, was mein ohnehin schon schlechtes Ansehen bei der Staatsanwaltschaft noch weiter herabsetzen würde. Wenn ich sagte, ich hätte mir während des Verhörs etwas zusammenfantasiert, würde man mich für verrückt erklären. Und die Behauptung, misshandelt worden zu sein, würde als weiterer Beweis dafür ausgelegt werden, dass ich eine Lügnerin war.
Ich weiß, meinen Anwälten war daran gelegen, mich vor der Staatsanwaltschaft und den Medien zu beschützen. Aber damals wünschte ich mir und wünsche es noch heute, ich hätte das Risiko auf mich genommen, Patrick trotzdem zu schreiben. Das war ich ihm schuldig.
20
Dezember 2007
A ls ich Carlo und Luciano sagte, ich wolle mit Staatsanwalt Mignini sprechen, dachte ich nicht an eine Revanche zwischen gegnerischen Mannschaften. Für mich war es eine Chance, alles ins rechte Licht zu rücken. Endlich.
»Ich bin mir sicher, wenn ich mit ihm persönlich spreche, kann ich ihm zeigen, dass ich ehrlich bin«, teilte ich meinen Anwälten mit. »Ich kann ihn davon überzeugen, dass er sich in mir getäuscht hat. Mich stört, dass alle – der Staatsanwalt, die Polizei, die Presse, die Öffentlichkeit – mich für eine Mörderin halten. Wenn ich nur die Chance hätte, mich Mignini so zu zeigen, wie ich wirklich bin, könnte ich diese Wahrnehmung bestimmt verändern. Die Leute könnten nicht mehr sagen, ich sei eine Mörderin.«
Carlo und Luciano schauten mich zweifelnd an. »Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist«, sagte Carlo. »Mignini ist gerissen. Er wird alles daransetzen, Sie auszutricksen.«
»Ich habe das Gefühl, das ist meine einzige Hoffnung«, erwiderte ich. »Meine memoriali haben niemanden zum Umdenken bewogen, sondern nur dafür gesorgt, dass die Staatsanwaltschaft und die Medien mich als Lügnerin darstellen. Ich bin nicht dazu gekommen, der Richterin zu sagen, was passiert ist, bevor sie den Haftbefehl bestätigt hat. Ich glaube, ich muss von Angesicht zu Angesicht erklären, warum ich Patricks Namen genannt habe. Mignini soll begreifen, warum ich gesagt habe, ich hätte Patrick am Basketballspielfeld getroffen, warum ich ausgesagt habe, ich hätte Meredith schreien gehört.«
»Er kann einschüchternd sein«, wandte Carlo ein.
»Der Gedanke an eine Begegnung mit Mignini jagt mir unglaubliche Angst ein«, gestand ich. »Ich weiß, wie es ist, von ihm unter Druck gesetzt zu werden. Aber ich muss es versuchen.«
Meine Überlegung war: Ich hatte die Polizei in die Irre geführt und musste die Verantwortung für meinen Fehler übernehmen. Das schien mir die richtige – und erwachsene – Vorgehensweise zu sein.
»Da kommt nichts Gutes bei raus«, grummelte Luciano.
Doch als meine Anwälte in der Woche darauf nach Capanne kamen, hatten sie, wenn auch mit Vorbehalt, beschlossen, eine zweite Vernehmung in die Wege zu leiten.
»Es ist riskant«, sagte Carlo. »Mignini wird versuchen, Ihnen etwas anzuhängen.«
»Das macht er ohnehin schon«, erwiderte ich.
Als ich Mignini in der questura zum ersten Mal begegnet war, hatte ich nicht gewusst, wer er war, was überhaupt vor sich ging, was los war, warum man mich anbrüllte, wieso ich mich an nichts erinnern konnte. Ich dachte, er wäre jemand, der mir helfen könnte – der Bürgermeister –, nicht derjenige, der meinen Haftbefehl unterschreiben und mich hinter Gitter bringen würde.
Diesmal war ich
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