Zeit, gehört zu werden (German Edition)
vorbereitet. Diesmal würden meine Anwälte zugegen sein. Ich wäre ausgeruht. Mein Verstand war klar. Ich wusste, worauf ich mich einließ, würde mir Zeit lassen und seine Fragen auf Englisch beantworten. Ich glaubte nicht, sofort entlassen zu werden, hoffte aber, es würde mir helfen, wenn ich dem Staatsanwalt in aller Klarheit darlegte, was passiert war. Wenn dann neue Beweise für meine Unschuld auftauchten, müsste Mignini mich gehen lassen.
Inzwischen hatte ich jeden Mittwochmorgen einen festen Termin mit meinen Anwälten. Jede Woche, wenn ich ins Gefängnisbüro trat, das uns als Besprechungszimmer diente, standen beide Männer auf und sagten: » Ciao, Amanda.« Dann legte Luciano den Kopf in den Nacken, schaute an die Decke und sagte: »Ciao, polizia«, bevor er mich wieder ansah. »Teniamoci conto degli altri ospiti della festa« – »Vergessen wir nicht die anderen Partygäste«.
Lucianos freche Begrüßung war für mich nicht der einzige Hinweis darauf, dass der Raum mit ziemlicher Sicherheit abgehört wurde. Meine Anwälte hatten keinen Zweifel daran gelassen. »Reden Sie mit niemandem über Ihren Fall«, sagte Carlo. »Ich bin mir sicher, dass Sie beobachtet und belauscht werden. Mir ist klar, dass Sie mit Ihren Eltern unbedingt frei sprechen wollen, aber die Polizei wird alles zu ihrem Vorteil nutzen, um gegen Sie vorzugehen. Bitte, seien Sie vorsichtig.«
»Okay«, erwiderte ich.
Aber mich zu zensieren fiel mir nicht leicht. Ich hatte nur zwei Stunden pro Woche mit meiner Mutter und meinem Vater, und sie waren die Einzigen, denen ich mein Herz ausschütten konnte. Mir ging es besser, wenn ich Dampf abließ, und meine Eltern mussten wissen, was ich dachte. Ich sah keine Gefahr darin, meinen Alltag im Gefängnis und den Umgang mit meinen Zellengenossinnen und Wärterinnen zu beschreiben. Da ich mit dem Mord nichts zu tun hatte, ging ich davon aus, dass ich mit allem, was ich sagte, nur meine Unschuld bewies.
Dabei hatte ich nicht bedacht, dass die Staatsanwaltschaft mir das Wort im Mund herumdrehen würde. Ich hielt sie nicht für fähig, alles, was ich sagte, in etwas Belastendes zu verwandeln, denn ich redete lediglich über meine Unschuld und meinen Wunsch, wieder nach Hause zu kommen. Ich wiederholte immer dasselbe.
Bei ihrem ersten Besuch, nachdem die Geschichte mit dem Messer herausgekommen war, legten meine Eltern mir die Theorie meiner Anwälte dar – die Polizei könnte das Messer als Panikmache benutzen, um mich dahin zu bringen, mich selbst zu belasten. »Die Polizei hat überhaupt nichts gegen dich in der Hand«, sagte meine Mutter. »Daher versucht man abzuwarten, ob du noch etwas sagst.«
»Das ist doch blöd«, erwiderte ich. »Ich kann nichts als die Wahrheit sagen, weil ich weiß, dass ich dort war. Das würde ich mir doch nicht ausdenken, dazu besteht kein Grund.«
Damit meinte ich, dass ich in der Nacht, als Meredith ermordet wurde, in Raffaeles Wohnung war und mich folglich gar nicht selbst belasten konnte. Ich war nicht in der Villa gewesen. Ich würde keinen Fehler machen, denn ich hatte nichts zu verbergen.
In dem Raum, in dem wir uns ein paar Wochen zuvor wiedergesehen hatten – derselbe Raum, in dem ich meine Anwälte traf –, saß meine Mutter neben mir am Tisch, umfasste meine Hände und nickte mir beipflichtend zu. Dann gingen wir zu anderen Themen über, zum Beispiel, wie wir das alles überstehen sollten und was Freunde und unsere Angehörigen zu Hause unternahmen, um zu helfen.
Die Ermittler bewegten sich nicht von der Stelle. Sie hielten sich an meiner Bemerkung fest, die sie auf Band hatten. Zwei Wochen später, Anfang Dezember, sorgte eine verzerrte Version meiner Worte für Schlagzeilen wie im Londoner Telegraph: »Tonband bringt Knox an den Tatort«.
Der Artikel fing so an: »Dramatische neue Beweise sind aufgetaucht, die möglicherweise belegen, dass Amanda Knox, die junge Amerikanerin, die angeklagt ist, Meredith Kercher umgebracht zu haben, zum Zeitpunkt des Todes der englischen Studentin anwesend war.«
Die Polizei hatte die unwahre, aber pikante Geschichte an die Presse weitergeleitet.
Luciano und Carlo wussten, was ich noch nicht begriffen hatte: Die Staatsanwaltschaft war derart fixiert darauf, meine Schuld zu beweisen, dass sie nur sah, was sie sehen wollte, nur hörte, was sie hören wollte, nur fand, was sie finden wollte. Zum Teufel mit den Fakten.
Ich war empört.
»Wie können sie das tun?«, fragte ich. »Das ist schlichtweg
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