Zeit, gehört zu werden (German Edition)
Ermittler aus Perugia hatten es abgehört – erzählt hatte, er sei in der Mordnacht in der Villa gewesen.
»Ich war im Bad, als es passierte«, sagte er. »Ich habe versucht, dazwischenzugehen, konnte es aber nicht. Amanda hat damit nichts zu tun … ich habe mit einem Mann gekämpft, und sie war nicht da.« Auch Patrick sei nicht dort gewesen. »Der Typ war Italiener, denn wir beschimpften uns gegenseitig, und er hatte keinen ausländischen Akzent.«
Als sein Freund fragte, ob es Raffaele gewesen sei, »der aus dem Fernsehen«, antwortete Guede: »Ich glaube ja, aber ich bin mir nicht sicher.«
Nach seiner Festnahme erzählte Guede der deutschen Polizei, Meredith habe ihn zu sich in die Villa eingeladen, und sie hätten gerade rumgeknutscht, als ihm von einem Kebab schlecht geworden sei, den er vorher gegessen habe. Er sagte, er sei im Bad gewesen und habe Musik auf seinem iPod gehört, als er Merediths Schreie vernommen habe. Ein braunhaariger Italiener, den er nicht identifizieren könne, habe den Mord begangen. Er habe versucht, Meredith zu helfen, als sie starb, habe das Blut mit Handtüchern gestillt, aber die Flucht ergriffen, als ihm klargeworden sei, dass er nichts tun konnte. Er habe Angst gehabt, allein aufgrund seiner dunklen Hautfarbe für ein Verbrechen verurteilt zu werden, das er nicht begangen habe.
Guede hatte offenbar versucht, sich ein Alibi zu verschaffen: Er wechselte die Kleidung und machte sich Stunden nach dem Mord auf den Weg zu einer Disco in der Innenstadt. Seine Anwälte sagten später, der Mord habe ihn derart verängstigt, dass er den Tatort verlassen habe, um zur Ruhe zu kommen. Am nächsten Abend ging er wieder ins Domus und zog die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, als er während einer Schweigeminute für Meredith weitertanzte. Am Tag darauf verließ er die Stadt. Carlo und Luciano erzählten mir, er sei wahrscheinlich durch das Interesse der Medien an dem Fall kopfscheu geworden und habe entschieden, dass es wohl am besten sei, zu verschwinden und seine blutigen Kleider und Schuhe mitzunehmen. Sie vermuteten, dass Guede gerade dabei war, die Villa auszurauben, als Meredith nach Hause kam, und sie dann überfiel. Dieses Szenario fand ich sofort sehr einleuchtend. Ich war nicht imstande gewesen, all diese Puzzlestücke zusammenzufügen. Merediths Ermordung war so entsetzlich und meine Verhaftung zu absurd für mich, um logisch darüber nachdenken zu können.
Die Tatsache, dass Guede nun mit dem Finger auf Raffaele zeigte, war für mich nur ein vorübergehendes Problem, aber es war trotzdem krass! Er hatte mein Alibi bestärkt: Ich war nicht in der Villa gewesen. Und da ich mich nicht dort, sondern in Raffaeles Wohnung aufgehalten hatte, würde auch Raffaele freigesprochen werden. Wir würden beide frei sein.
Nachdem ich gesehen hatte, wie die Staatsanwaltschaft Patrick in den beiden Wochen seit seiner Festnahme behandelt hatte, hätte mir klar sein sollen, wie sie arbeitete. Meine Anwälte erzählten mir, in der Woche zuvor sei ausgiebig darüber berichtet worden, dass Patrick Kassenbelege und zahlreiche Zeugen habe, die für seinen Aufenthalt in der Nacht vom 1. November bürgten. Ein Schweizer Professor hatte bezeugt, er sei an dem Abend zwischen acht und zehn mit Patrick im Le Chic gewesen. Doch obwohl Patrick ein wasserdichtes Alibi hatte und kein Beweis dafür vorlag, dass er zum Zeitpunkt des Mordes in der Villa war, schon gar nicht im Bad, konnte die Polizei nicht zugeben, sich geirrt zu haben.
Patrick kam an dem Tag frei, als Guede verhaftet wurde. Seine Freilassung mit Guedes Festnahme zeitlich zusammenfallen zu lassen, lenkte die Aufmerksamkeit von ihrem Fehler ab. Sie ließen Patrick erst gehen, als sie Guede hatten, der seine Stelle einnehmen sollte.
Als ich mir die Aufnahmen ansah, wie Patrick aus dem Gefängnis kam und bei seiner Frau und seinem kleinen Kind stand, kamen mir schlagartig die schrecklichen Stunden in der Nacht zum 5. November wieder hoch, in denen ich verhört wurde. Ich war schwach gewesen und hatte Angst gehabt, dass sie ihre Drohungen wahr machen und mich für dreißig Jahre hinter Gitter bringen würden. Schließlich war ich zusammengebrochen und hatte genau das ausgesprochen, was die Polizei mir in den Mund gelegt hatte. Ich hatte gesagt: »Patrick – es war Patrick.«
In jener ersten Zeit im Gefängnis träumte ich fast jede Nacht von der Vernehmung. Dann war ich wieder in dem überfüllten, engen Verhörraum, spürte die Anspannung,
Weitere Kostenlose Bücher