Zeit im Wind
Fluchen, und Toby fiel es schwer, bei diesem strengen Regiment richtig in Schwung zu kommen. Das führte dazu, daß er die Arbeiten etwas nachlässig ausführte, obwohl sie nicht regelrecht mißraten waren. Als nach ein paar Jahren die Kulissen aus dem Leim gingen, machte Hegbert sich daran, sie auszubessern. Doch auch wenn er sehr wirkungsvoll mit der Faust auf die Kanzel zu schlagen pflegte, zeigte er beim Nägeleinschlagen längst nicht dieses Geschick; die Kulissen hatten sich verzogen, rostige Nägel ragten überall heraus, so daß man sehr aufpassen mußte, nicht mit ihnen in Berührung zu kommen. Entweder liefen wir Gefahr, uns zu verletzen, wenn wir an die Kulissen stießen, oder aber sie fielen um und die Nägel zerschrammten den Bühnenboden. Nach ein paar Jahren mußte der Fußboden im Playhouse erneuert werden , woraufhin Hegbert - weil er nicht des Hauses verwiesen werden konnte - versprechen mußte, in Zukunft achtsamer zu sein. Deswegen also mußten wir im Klassenzimmer proben, bis wir die »kleinen Patzer« ausgemerzt hatten.
Weil Hegbert seinen pastoralen Pflichten nachkommen mußte, war er zum Glück nicht an der Produktion an sich beteiligt. Das war Miss Garbers Bereich, und die erste Aufgabe, die sie uns stellte, bestand darin, daß wir unseren Text so schnell wie möglich lernen sollten. Wir hatten nicht soviel Zeit für die Proben wie sonst, weil Thanksgiving auf das letzte Novemberwochenende fiel und Hegbert nicht wollte, daß das Stück zu kurz vor Weihnachten aufgeführt wurde, damit sich SEINE WAHRE BEDEUTUNG klar entfalten konnte. Also hatten wir gerade einmal drei Wochen, eine Woche weniger als sonst.
Die Proben fingen um drei Uhr an. Jamie konnte ihren Text gleich am ersten Tag auswendig, was eigentlich nicht so erstaunlich war. Das Erstaunliche war, daß sie meinen Text und den der anderen auch konnte. Wir probten eine Szene, und sie machte ohne ihr Skript mit, während ich immer wild in den Seiten blätterte, um meinen nächsten Einsatz zu finden, und jedesmal, wenn ich aufsah, hatte sie einen so leuchtenden Ausdruck in den Augen, als wartete sie auf den brennenden Dornbusch oder so was. Die einzige Rolle, die ich auswendig konnte, war die von dem stummen Penner, wenigstens am ersten Tag, und plötzlich war ich richtig neidisch auf Eddie, jedenfalls in dieser Hinsicht. Mir stand ein Haufen Arbeit bevor - nicht gerade das, was ich mir vorgestellt hatte, als ich mich für den Kurs eingetragen hatte.
Meine edlen Gefühle, die mich bewogen hatten, bei dem Stück mitzumachen, hatten sich am zweiten Probentag verflüchtigt. Obwohl ich wußte, daß ich DAS RICHTIGE tat, verstanden meine Freunde mich überhaupt nicht und zogen mich unbarmherzig auf. »Was machst du?« fragte Eric, als er davon hörte. »Du spielst in dem Stück mit Jamie Sullivan mit? Bist du wahnsinnig oder einfach nur bescheuert?«
Ich murmelte etwas davon, daß es gute Gründe dafür gebe, aber er ließ die Sache nicht auf sich beruhen und erzählte allen anderen, daß ich in Jamie verliebt sei. Natürlich leugnete ich es, aber darauf antworteten sie nur, das sei der beste Beweis, lachten laut und erzählten es dem nächsten weiter. Die Geschichten wurden immer wilder - in der Mittagspause hörte ich von Sally, daß ich mich mit Gedanken an eine Verlobung trüge. Ich glaube sogar, daß Sally eifersüchtig war. Sie war schon seit ein paar Jahren in mich verliebt, und vielleicht hätte ich ihre Gefühle erwidern können, aber sie hatte ein Glasauge, eine Tatsache, die ich unmöglich übersehen konnte. Ihr kaputtes Auge erinnerte mich an eine ausgestopfte Eule in einem Trödelladen, und ehrlich gesagt kriegte ich jedesmal, wenn ich sie ansah, eine Gänsehaut.
Vermutlich wurde ich zu diesem Zeitpunkt langsam wieder sauer auf Jamie. Ich weiß, daß sie nichts dafür konnte, aber ich mußte bei Hegbert den Kopf hinhalten, der sich seinerseits am Abend des Schulballs nicht gerade angestrengt hatte, freundlich zu mir zu sein. In den nächsten Tagen stolperte ich durch meine Rolle und gab mir keine richtige Mühe, sie zu lernen. Ab und zu machte ich einen Witz, über den alle außer Jamie und Miss Garber lachten. Nach der Probe eilte ich nach Hause und versuchte, das Stück zu vergessen; ich nahm nicht einmal meinen Text mit nach Hause. Statt dessen riß ich Witze mit meinen Freunden über die komischen Sachen, die Jamie angeblich tat, und machte allen weis, daß Miss Garber mich gezwungen hätte, die Rolle zu
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