Zeit zu hassen, Zeit zu lieben
Arbeiter aufmerksam geworden, hatten die Werkzeuge niedergelegt und hörten zu, was da geredet wurde.
Auch Karl trat ein paar Schritte näher heran.
»Heiraten will ich. Und mit den paar Mark, die ein Nietjunge verdient, kann ich keine Familie ernähren.«
Herrn Wischerhoff schien es nervös zu machen, dass diese Verhandlung vor vielen Augen und Ohren stattfand. Er mischte sich ein und sagte: »Familienangelegenheiten interessieren hier nicht, Herr Bienmann. Sie sind doch noch jung. Warten Sie, bis die Zeiten besser werden.«
Paul verlor die Beherrschung. Röte zog sich bis in seine Stirn hinein. »Bessere Zeiten, Herr Wischerhoff? Für Sie waren die Zeiten nie besser als heute.«
»Mäßigen Sie sich, Herr Bienmann«, sagte Wischerhoff.
»Sei vernünftig, Paul«, redete Karl ihm zu und fasste seinen Arm.
Paul schüttelte ihn so heftig ab, dass Karl zu Boden stürzte. »Die Inflation hat Ihnen geholfen, Ihre Schulden loszuwerden, Herr Wischerhoff. Ihnen und anderen Kapitalisten kam die Geldentwertung gerade recht. Aber ich habe mein Gespartes verloren. Mein Vater musste sein Geschäft aufgeben. Auf unserem Buckel haben Sie sich gesundgestoßen.«
»Sie sind entlassen, Bienmann. Fristlos entlassen.« Wischerhoff wandte sich ab, doch Paul lief auf ihn zu, fasste ihn an der Schulter und schrie: »Ein Lump sind Sie, Herr Wischerhoff, und dieses Arschloch von Meister«, er zeigte auf Willi Rath, »der hilft Ihnen noch dabei, die Arbeiter zu ducken.«
Wischerhoff schaute Paul in die Augen, kalt und ohne ein Zeichen von Furcht. »Loslassen, Mann!«, sagte er leise. »Entlassen sind Sie. Sofort!«
Die Arbeiter begannen, mit ihren Werkzeugen gegen die Eisenplatten zu schlagen, und ein anschwellender Lärm erfüllte das Werftgelände. Auch entfernter arbeitende Gruppen lärmten mit, obwohl sie gar nicht genau wissen konnten, worum es ging.
»Schluss jetzt!«, überschrie Willi Rath das Getöse. »Wer in fünf Minuten nicht wieder an seiner Arbeit ist, der kann sich die Papiere holen.«
Wischerhoff schritt davon. Ihn schien der ganze Aufruhr nicht zu berühren. Paul stand mit hängenden Armen. Es dauerte keine zwei Minuten, da arbeiteten alle wieder.
Karl trat dicht neben Paul und sagte: »Mensch, Paul, du warst vielleicht wütend. Wie damals an der Somme.«
»Ja«, antwortete Paul bitter. »Aber wer hat mich heute aus der Scheiße geholt?«
Pauls Wut war verflogen. Er zog sich um, packte seinen Arbeitsanzug in die Tasche und holte im Büro seine Papiere. »Was ist mit dem Zeugnis?«, fragte er.
»Soll Herr Rath etwa schreiben: ›Paul Bienmann hat Aufruhr gestiftet und den Chef und den Meister beschimpft?‹«, war die Antwort. Aber dann flüsterte der Mann auf dem Büro Paul zu: »Geh doch mal rüber zu Stinnes. Da wollen sie Leute einstellen.«
Paul sprach nach der Mittagspause bei Stinnes vor. Nach dem Durchblättern seiner Papiere und einem kurzen Getuschel im Büro des Personalchefs war die Antwort: »Zur Zeit leider nicht.«
Paul versuchte es noch bei der Bilton-Werft, aber auch dort wies man ihn ab. Immerhin sagte man ihm, dass das Zeugnis für das letzte Jahr fehle und dass man niemand einstelle, der nicht lückenlos Zeugnisse vorweisen könne.
Paul kam zur Feierabendzeit in die Blütentalstraße zurück. Er verschwieg, dass er arbeitslos war.
Am nächsten Morgen ging er wie immer los. Er klapperte fünf Werften und Werkstätten ab, große und kleine, aber keine stellte jemand ein, dem das Zeugnis verweigert worden war.
Einmal rief sogar der Juniorchef der Velten-Werft bei Wischerhoffs an, während Paul dabeistand. Velten junior erfuhr von seinem »lieben Erich«, dass der Bienmann ein Radikaler sei, von dem man besser die Finger weglasse.
Vier Tage lang versuchte Paul, eine Stelle zu bekommen. Vergebens. Immer noch hatte er von seiner Entlassung nichts erzählt, ging morgens pünktlich um halb sieben aus dem Haus und kam am Spätnachmittag wieder zurück.
An diesem Abend wandte er sich an Karl. »Ich muss ein Zeugnis haben, Karl«, sagte er. »Der Rath muss mir ein Zeugnis schreiben, sonst stellt mich niemand ein.«
»Ich sorge dafür. Ich rede mit Willi«, versprach Karl. Und dann fügte er hinzu: »Ich glaube, die Kollegen haben sich ziemlich mies gefühlt, als sie dich im Stich gelassen haben. Vielleicht würden sie streiken, wenn die Wischerhoffs dir das Zeugnis verweigern.«
Paul schaute ihn voller Zweifel an. »Sprich lieber mit dem Rath. Die Kollegen haben genug eigene Sorgen. Und
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