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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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davon.
    Er hatte die Waschmaschine repariert, aber das war kein überzeugendes Zeichen, das gab selbst der Mann zu. Paul hatte den Brüdern im Skatspiel sieben Groschen abgenommen. Das jedoch war eher ein bedrohliches Zeichen. Auch Karl Schneider, den er am Sonntag gleich aufgesucht hatte, wusste keinen Rat. »Ich habe mit Willi gesprochen«, sagte er. »Aber die Aktien stehen schlecht. Die Werft musste alle Männer einstellen, die aus dem Feld zurückgekommen sind und die 1914 dort gearbeitet haben.«
    »Da bleiben die jüngeren auf der Strecke«, sagte Paul.
    »Vielleicht fängst du fürs Erste in der Zeche an«, schlug Karl vor.
    »Ich nehme jede Arbeit«, stimmte Paul zu. Mit der Hilfe von Karls Parteifreunden hatte er am Freitag das Kunststück fertiggebracht, eine Arbeitsstelle auf dem Pütt zu bekommen. Am Montag sollte es losgehen. Nicht als Schlosser zwar, sondern vor Kohle. Auch das ließ die Frau als Zeichen nicht gelten. So gingen die Tage zeichenlos dahin.
    Der Sonntag wurde eingeläutet. Dem Paul klangen die Glocken wie Trauergeläut. Er hatte sich bei den Reitzaks wohlgefühlt, hatte jeden Abend den Franziska-Geschichten der Brüder begierig gelauscht und die Bilder des schönen Mädchens hatten sich weitergesponnen, bis in die Träume hinein.
    Frau Reitzak, die er eines Tages nach Franziska gefragt hatte, schimpfte mit ihren Söhnen. »Setzt ihm keine Flausen in den Kopf. Was wisst ihr von Franziska? Sie war vierzehn und lang und dürr, als ihr sie zuletzt gesehen habt.«
    Mit dem Mann war Paul am besten ausgekommen. Gelegentlich hatte er ein paar Sätze in holprigem Mausurisch mit ihm gesprochen. Dann begannen die Augen des Mannes zu glänzen.
    Am Freitagabend hatten sie mit den Nachbarn vor dem Haus gesessen und gesungen. Der Frau hatte am besten gefallen, dass Paul von jedem Lied viele Strophen auswendig konnte. »Bist mir ein seltsamer Katholik«, hatte sie gesagt. Als er verdutzt dreinschaute, erklärte sie: »Alle Schwarzen, die ich kenne, die können von den Liedern nur die erste Strophe auswendig. Wir, wir Evangelischen, wir singen immer alle Strophen in der Kirche.«
    Die Glocken hörten auf zu läuten. Sie saßen um den Tisch. »Morgen ziehe ich dann wieder aus«, sagte Paul.
    »Weißt du schon, wohin?«, fragte der Mann.
    »Nun, das wird sich finden. Für ein paar Tage gehe ich ins Gesellenhaus.« – »Ja, so ist das«, sagte der Mann.
    Es schellte, aber als die Frau den Schlüssel auf die Straße werfen wollte, war da niemand. Ärgerlich kam sie in die Küche zurück. Sie saß noch nicht wieder, da wurde die Küchentür aufgestoßen. Eine junge Frau, einen Strohkoffer in der Hand, trat ein und stand ein wenig verloren in der Küche.
    »Können Sie nicht lesen?«, fuhr Ditz sie an. »Das Schild an der Haustür ist doch wohl groß genug. Hausieren ist hier verboten.«
    Sie stellte den Koffer auf den Boden.
    »Aber bitte«, sagte Frau Reitzak, »lassen Sie uns in Frieden. Wir kaufen niemals etwas an der Tür.«
    Hilflos stand die junge Frau da. Sie trug ein blaues Leinenkleid. Ihre Brille beschlug. Sie nahm sie ab. Paul fiel auf, dass ihre Hand dabei zitterte. Sonnenlicht fiel schräg durch das Fenster. Das Haar der Frau schimmerte auf. Da sah Paul es deutlich: ein brauner Fleck im grünen Auge!
    Etwas von ihrem Jammer und ihrer Not sprang auf ihn über. Er sagte leise: »Das ist doch eure Franziska!«
    Die junge Frau schlug die Hände vor das Gesicht. Der Mann sprang als Erster auf, schloss sie in die Arme und rief: »Ziska, Kind! Aus einer langen Bohnenstange von vierzehn ist ein schönes Täubchen geworden. Fast fünf Jahre, Ziska. Fast fünf Jahre haben wir dich nicht mehr gesehen.«
    Frau Reitzak stand starr und sagte schließlich: »Mann, das war das Zeichen. Das war das Zeichen. Wir alle haben unser eigenes Kind nicht erkannt. Sogar ich nicht, die leibliche Mutter.« Sie brach ab, schluckte und fuhr barsch fort: »Und der, der sie nie zuvor gesehen hat, der hat sie beim Namen genannt!« Sie trat auf Paul zu und sagte: »Kannst bleiben, wenn du willst.«
    »Die Füchse haben ihre Höhlen«, murmelte Paul.

12
    Die Arbeit als Bergmann vor Kohle war für Paul alles andere als ein Zuckerschlecken. Sicher, er war es gewohnt, hart anzupacken. Im Laufe der ersten Woche hatten sich an seinen Händen aus Blut und Blasen dicke Schwielen gebildet. Auch sein Muskelkater, der ihn viele Tage lang geplagt hatte, war längst vergessen. Bald hatten die Kumpel, mit denen er Tag für Tag

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