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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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zusammenarbeitete, erkannt, dass Paul mehr konnte, als kraftvoll die Hacke zu schwingen oder über Stunden hin mit der kurzstieligen Schaufel die herausgebrochene Kohle in die Rutsche zu schippen.
    »Wo hast du das gelernt?«, fragte ihn Franz Becker, als er sah, wie Paul mit dem Holz umging. Nicht ein einziges Mal setzte er die Säge an der falschen Stelle an. Jeder Schlag mit dem Beil saß. Das Verstreben und Verkeilen der Stempel gelang, als ob Paul den Beruf des Bergmanns von der Pike auf gelernt hätte.
    »Mein Vater ist Zimmermeister. Er hat mit seiner Kolonne Häuser und Kirchen aus Holz gebaut.«
    »Gib nicht so an!«, hatte einer aus der Kolonne gerufen.
    Das Herausbrechen der Kohle war schwerer zu erlernen. Mit Kraft allein ging da gar nichts. Oft hatte Anton Zick, der neben ihm arbeitete, ihm zeigen müssen, wo Hackenschlag und Meißel angesetzt werden mussten. Aber nach einigen Wochen hatte er zu Paul gesagt: »Aus dir wird nie ein guter Bergmann. Du hast’s nicht im Blut. Im Kopf ja, da ist bei dir einiges drin. Aber hier«, er schlug sich mit der Faust gegen den nackten Brustkorb, »hier fehlt’s bei dir.«
    »Ihr wollt mich also nicht mehr in eurer Kolonne?«
    »Das will ich nicht sagen. Mit dem Holz kannst du ja gut umgehen. Aber du weißt ja: Der Lohn kommt von der Kohle, nicht vom Holz.«
    Die anderen waren schon aufgestanden und wieder vor Ort. Leise fügte Zick hinzu: »Ich glaube, Paul, du wirst die Angst hier unten nie los. Das ist es, was dich schlapp macht.«
    »Ich und Angst!«, rief Paul entrüstet. »Ich war im Westen an der Front. Ja, da hatte ich Angst. Aber hier, hier schießt doch niemand auf Menschen.«
    Zick hob den Kopf. Seine Augäpfel schimmerten in dem schwarzen, schweißverklebten Gesicht wie Emaille. »Es sind die vierhundert Meter, die da über uns hängen«, murmelte er und reckte den Daumen gegen das Deckgebirge. »Manch einer gewöhnt sich nie daran.« Er stand auf und ging fort.
    Paul blieb noch einen Augenblick auf der Kiste sitzen. Hatte Zick Recht? Würde das Hämmern seines Herzens bis in die Schläfen hinein nie aufhören?Jedes Mal, wenn er bei der Seilfahrt hinuntersauste und es in seinen Ohren zu rauschen und zu knistern begann, spürte er es. Er schwitzte dann plötzlich und es war noch nicht die Arbeit, die ihn dazu brachte.
    »He, du Pflaume! Hast du keine Lust mehr?«, schrie einer. »Hat deine Braut dir das Mark aus den Knochen gesaugt?«
    »Ach was, Angst! Ich werde es denen zeigen«, redete Paul sich Mut zu und kroch an seinen Platz.
    Viele Stunden Staub, Lärm, Schweiß, kurze Pausen für einen Schluck Kaffee aus der Blechflasche, hastiges Herunterschlingen des mitgebrachten Brotes, immer zu wenig zu essen in dieser Zeit, in der das Brot rar war. Endlich zurück zum Schacht, Warten auf die Seilfahrt, das Emporschießen des Förderkorbes, die Arbeitskleidung vom Körper gestreift und an einer Kette bis unter die Decke gezogen, nackt in die Waschkaue, aus hundert Duschen zischt das heiße Wasser.
    Paul stand in der langen Reihe der Männer und schrubbte dem, der vor ihm stand, den Rücken und der seine wurde von einem anderen eingeseift und gerieben. Eine Weile ließ Paul noch das warme Wasser auf Gesicht und Körper prasseln, spürte, wie die Muskeln sich entkrampften. Müdigkeit schwappte heran.
    Er hatte es nicht eilig. Am nächsten Tag war Sonntag. Er wollte mit Franziska einen Ausflug zum Rhein machen. Mit dem Bötchen wollten sie fahren.
    Sicher, Ditz sollte auch mit, sagte Frau Reitzak, aber Ditz war schweigsam und er würde ihre langen Gespräche nicht stören.
    »He, Kumpel, schlaf nicht ein!« Ein Rippenstoß ließ Paul auffahren. »Da! Da will einer was von dir.«
    Paul sah jetzt ebenfalls den Mann am Eingang der Waschkaue, der laut schrie und winkte. Er trat unter der Dusche hervor und verstand jetzt, was der Mann rief: »Wenn du der Bienmann Paul bist, dann komm her!«
    »Was gibt’s?«, fragte Paul.
    »Sauerei auf der sechsten Sohle. Fast alle Hunde sind ruiniert. Sabotage. Der ganze Betrieb da unten steht still.«
    »Was hab ich damit zu schaffen?«, fragte Paul.
    »Bist du Schlosser oder nicht?« Der Mann nahm den Helm ab. Paul erkannte den Maschinensteiger Kwiatkowski. Er wollte einwenden, dass er auf der fünften Sohle in der Mittagsschicht arbeite und mit der sechsten nichts zu tun habe, dass er kaputt sei wie ein lahmer Gaul. Aber Kwiatkowski schob ihn zurück in die Schwarzkaue. Er zeigte auf das Kleiderbündel unter der Decke. »Mach

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