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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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gesessen.
    »Bitte?«, fragte Frau Reitzak . Ärger klang durch ihre Stimme.
    »Gib ihm drei Mark«, wiederholte Martin Reitzak fest.
    »Und wovon, bitte schön, soll ich die Miete bezahlen?«
    Martin Reitzak erhob sich schwerfällig und ging quer durch die Küche auf die Wohnzimmertür zu.
    »Hast doch ein Sparbuch, Mathilde«, sagte er.
    Frau Reitzak stellte sich ihm in den Weg.
    »Willst einen Menschen hindern, für das zu kämpfen, woran er glaubt?«, fragte der alte Reitzak.
    Sie atmete erregt und trat nicht zur Seite. Da schob er sie so heftig fort, dass sie ins Stolpern geriet und sich an der Tischkante festklammern musste. Während er nach vorne verschwand und in der Stille deutlich das Drehen des Sekretärschlüssels im Schloss zu hören war, warf sich Frau Reitzak mit dem Oberkörper über den Tisch.
    Ihre Schultern bebten.
    Der alte Reitzak zahlte dem Mathes drei Mark in die Hand und sagte: »Und nun geh du zu deiner Armee und schlag ein auf das arme Deutschland.«
    Verwirrt verließ Mathes die Küche. Martin Reitzak ging wieder zu seinem Platz am Fenster zurück. Bruno und Manfred schlichen hinaus und liefen hinüber zum Pferdestall.
    »Das darfst du mit der Mama nicht machen«, sagte Franziska.
    »Misch dich nicht ein, Tochter«, antwortete Martin ruhig. »Das geht nur Mama und mich etwas an.«
    Drei Tage redete Frau Reitzak kein Wort mit ihrem Mann und lief mit blassem Gesicht herum, schwarze Ringe unter den Augen und die Lippen fest zusammengepresst.
    Am Dienstag hatte es auf dem Rathausplatz eine Protestversammlung gegeben, aber die war böse ausgegangen. Die grüne Polizei und die Einwohnerwehren hatten sich ein blutiges Gefecht mit der Roten Ruhrarmee geliefert. Neun Tote, schrieb die Zeitung, habe der Bruderkampf gekostet.
    Der Streik dauerte an. Eine nächtliche Ausgangssperre wurde verhängt. In den Wirtschaften durfte kein Alkohol mehr ausgeschenkt werden. Auch ohne Alkohol war die Erregung groß. Es sprach sich herum, dass in Essen die Roten das Rathaus besetzt hatten. Die Armee wuchs und sollte schon an die fünfzigtausend Mann unter ihrer roten Fahne versammelt haben.
    Am Freitag kam Karl Schneider mit einer neuen Nachricht zu den Reitzaks in die Küche gestürmt. »Der Kapp-Putsch ist gescheitert! Die Regierung kehrt nach Berlin zurück. Die Putschisten sind gestern nach Schweden geflohen.«
    »Gott sei Dank«, sagte Frau Reitzak.
    »Hat Papa seine drei Mark doch gut angelegt«, versuchte Franziska einen Scherz.
    Frau Reitzak ging darauf ein und sagte: »Es soll mir recht sein, wenn er jede Revolution mit ’nem Taler niederschlagen kann.«
    »Es war der Generalstreik, der Kapp in die Knie gezwungen hat«, sagte Karl. »Ich hätte nie gedacht, dass sogar die Beamten sich angeschlossen hätten. Die Rote Ruhrarmee hat allerdings weniger damit zu tun.«
    »Jetzt kann der Mathes sein Gewehr ja wieder aus der Hand legen«, seufzte Frau Reitzak.
    »Ich glaube nicht, dass er das tun wird«, zweifelte Karl. »Im Gegenteil. Von Mülheim und Essen her marschieren die Arbeiter auf unsere Stadt zu. Sie sagen, in ein paar Tagen hätten sie das ganze Ruhrgebiet befreit.«
    »Und die Bürgerwehren?«, fragte Franziska.
    »Hier und da gibt es Schießereien. Das Ende aber ist: Die Bürgerwehren laufen davon.«
    Karl stand auf und sagte: »Ich rede hier herum. Ich habe meine Resi die letzten drei Tage kaum gesehen!«
    Bevor Karl die Tür hinter sich zuzog, warnte er: »Es wird bestimmt heiß hergehen in unserer Stadt. Seid vorsichtig! Und haltet den Padre im Haus.«
    »Putsch von rechts, Putsch von links! Wann endlich gibt es wieder ruhige Tage?«, seufzte Frau Reitzak. Sie setzte die Tassen auf den Tisch und rief zum Abendbrot. Jedem waren zwei dicke Scheiben Brot mit Rübenkrautaufstrich und drei mittelgroße Pellkartoffeln zugeteilt worden.
    »Möchtest du noch eine Tasse Kaffee?« fragte Frau Reitzak ihren Mann.
    »Gern«, antwortete der und jeder konnte sehen, wie die beiden aufatmeten, dass der stumme Krieg ein Ende haben sollte.
    »Ihr habt euch sicher gewundert über die drei Mark, die ich dem Mathes lieh.«
    Martin Reitzak räusperte sich und seine Frau warf ein: »Lass es gut sein, Martin. Was weg ist, ist weg.«
    »Nein, nein«, wehrte er ab. »Ich will euch erzählen, warum ich dem Filou das Geld gegeben habe.« Er legte seine Tabakspfeife auf die Tischplatte. »Es war die Zeit, als ich als junger Bursche bei den Soldaten war.«
    »Unter drei Kaisern gedient«, unterbrach ihn Leo und es war nicht

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