Zeitbombe Internet
und die andere Person klickt kurz »o.k.«, und fortgeschrittene Besucher können noch ein paar Extra-Einstellungen vornehmen, damit nicht alle alles mitlesen können. Eigentlich.
Doch auch, was die Benutzer nur mit wenigen teilen wollen, bleibt durch technisches Versagen oder durch Schnüffelei nicht mehr zuverlässig vertraulich.
Facebook, das gröÃte und erfolgreichste Soziale Netzwerk der Welt, hat mehr als 500 Millionen aktive Mitglieder, und das Unternehmen drängt die Menschen aus Ãberzeugung und kühler Berechnung dazu, ein öffentlicheres Leben zu leben. Aber Facebook ist eben nicht bloà eine Plattform für den kleinen Narzissten, sondern auch eine sehr effektive Möglichkeit, um Kontakt zu vielen Menschen zu halten, vor allem zu denen, die man selten sieht. Es ist hervorragend geeignet, um sich zu organisieren, und damit hat, wenn man so will, die zweite groÃe Phase in der Entwicklung des Sozialen Netzwerks begonnen. Politische Aktivisten in vielen Ländern Nordafrikas benutzen die Software heute ganz selbstverständlich, weil sich Informationen bei Facebook so kaskadenartig ausbreiten. Auf einmal ist Facebook ein Werkzeug für Revolutionäre. Und deshalb stellt sich, je mehr Facebook und Co. zur zentralen Kommunikationsplattform im Internet werden, die Frage: Werden Firmen wie Facebook ihrer Verantwortung gerecht?
Man muss sich die Software zunächst als weiÃen leeren Bildschirm vorstellen, auf dem einige Grundfunktionen festgelegt sind (Foto, Angaben zur Person, Liste der Freunde, eine Box, in der die Nachrichten von Freunden eingehen). Darüber hinaus kann ein Mitglied seine Seite mit einer persönlichen Auswahl an Funktionen anreichern: mit einer öffentlichen
Pinnwand oder kleinen Computerspielen oder einem Spendenaufruf und hundert anderen Dingen mehr; man kann Gruppen bilden und Fan-Seiten gründen.
Facebook ist ein Kommunikationsmittel für jedermann geworden. Es ist die populärste, in sich geschlossene Kommunikationsplattform der Welt und steckt noch mitten in der Entwicklung, weil es so viele Arten und Weisen gibt, es zu benutzen. Die einen schreiben, anstatt zu telefonieren, die nächsten ersetzen damit einen Karteikasten, in dem sie bis dahin die Visitenkarten ihrer Geschäftspartner gespeichert haben. Wieder andere benutzen es als gemeinsame Pinnwand für die Familie, als zentralen Ort, um sich im Freundeskreis zu verabreden â oder eben um einen Diktator zu stürzen. Und damit ist das Soziale Netzwerk nicht nur zu einer riesigen Datenbank des Geschmacks und der Gefühle, sondern auch der Beziehungen und der politischen Einstellungen geworden. Im Buch The Facebook Effect beziffert der Autor David Kirkpatrick die Zahl der monatlichen Einträge und Nachrichten auf zwanzig Milliarden.
Um das Ausmaà der Entwicklung zu begreifen, hilft ein Vergleich. Derzeit haben ungefähr zwei Milliarden Menschen, das ist fast ein Drittel aller Menschen, einen Internetzugang. Und fast ein Drittel davon ist wiederum Mitglied von Facebook. Nun überträgt man dieses GröÃenverhältnis auf ein altes Medium, das Telefon. Dann würde praktisch jeder dritte Mensch auf der Erde, der ein Telefon besitzt, ein und dieselbe Telefongesellschaft benutzen.
Darin, dass Rechner von Facebook und vergleichbaren Unternehmen jedes Wort speichern, jedes Foto und jedes Video, liegt eine der groÃen Zeitbomben des Internet â wenn diese Daten nicht sicher sind. Wer Zugriff auf die Daten hat, kann alles nachlesen und zurückverfolgen. Was nicht aktiv gelöscht wird, geht nicht verloren. Nichts wird vergessen.
Inzwischen geht es also nicht mehr nur darum, ob man Menschen in die Ãffentlichkeit drängen sollte, wie Facebook es tut, sondern ob solche Plattformen die Vertraulichkeit da gewährleisten, wo die Mitglieder es wollen oder existenziell
brauchen. Ist die Vertraulichkeit der Kommunikation in diesen Fällen nicht gewährleistet, ist das ein Problem ersten Ranges: für politisch Andersdenkende in vielen Regionen der Welt, aber auch für jeden Bürger in den westlichen Staaten. In einer Zeit, in der Menschen mehr Freundschaften und Beziehungen, Arbeitsgemeinschaften und intellektuelle Bünde über gröÃere Entfernungen schlieÃen als je zuvor, sind vertrauenswürdige Kommunikationsplattformen ein wichtiger Baustein der Globalisierung. Der Demokratisierung. Der bürgerlichen Gesellschaft.
Wenn
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