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Zeitbombe

Titel: Zeitbombe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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um, ging zum Ende des Waggons, stieg auf die alten, verrosteten Stufen, kletterte über die Holzplanken und hatte kurz darauf die andere Seite des Zuges erreicht. Die Polizisten folgten in Respektabstand und mit trockenem Mund.
    »Hier«, erklärte der Mediziner ein paar Meter weiter und deutete auf eine weiße Plane, die er mit seiner Taschenlampe anstrahlte. »Wollen Sie selbst anheben, oder soll ich für Sie tätig werden?«
    »Nein, nein, machen Sie das ruhig«, erwiderte Lenz leise und trat einen Schritt nach vorn. Dr. Franz griff mit der rechten Hand an das Ende des Tuchs und hob es langsam an. Der Oberkörper, der darunter zum Vorschein kam, war etwa auf Höhe der Brustwarzen stumpf vom Unterkörper abgetrennt worden. Von der ehemals blauen Sommerjacke waren nur noch Fragmente vorhanden. Lenz atmete tief durch und ließ die Augen in Richtung des Kopfes wandern, die Dr. Franz mit der Taschenlampe vorgab.
    »Mein Gott«, murmelte Hain im Hintergrund und begann zu würgen. Zuerst verhalten, dann lauter, um sich schließlich wegzudrehen und zu übergeben. Lenz hätte ebenfalls kotzen können, doch er war sich noch nicht einmal sicher, ob es sich bei dem Leichenteil wirklich um einen Überrest des Kollegen Norbert Schneider handelte. Er bat den Mediziner um die Lampe, trat einen weiteren Schritt nach vorn und leuchtete dem Toten direkt ins Gesicht. Das, was er vor sich hatte, war zweifelsfrei das Oberteil von Norbert Schneiders Leiche.
    »Er ist es«, ließ er den Arzt wissen und betrachtete für ein paar Sekunden das maskenhafte Gesicht. Dabei drängte sich ihm der Eindruck auf, dass der Kollege vom Rauschgiftdezernat zu seinen Lebzeiten niemals so zufrieden auf ihn gewirkt hatte.
    »Jetzt denken Sie bestimmt«, durchbrach Dr. Franz die Stille, »dass er richtig glücklich und zufrieden dreinschaut, so wie er hier liegt?«
    Lenz nickte.
    »Das ist nicht ungewöhnlich, Herr Lenz. Diesen Gesichtsausdruck findet man bei vielen Menschen, die sich auf diese Weise suizidiert haben.«
    Der Hauptkommissar blickte ihn verständnislos an. Franz sah kurz fragend zu dem Tuch in seiner Hand, danach zu Lenz.
    »Ja, decken Sie ihn ab. Ich habe alles gesehen, was ich nicht sehen wollte.«
    Dr. Franz ließ das Tuch fallen und ging hinüber zu Hain, der, mit einer Hand an der Tunnelwand abgestützt, dastand und den Mund zusammenkniff.
    »Geht es wieder, Herr Hain?«, wollte der Mediziner mit ungewöhnlich viel Besorgnis in der Stimme wissen.
    »Ja, geht«, presste der Oberkommissar hervor.
    Franz wandte sich wieder dem Hauptkommissar zu.
    »Das Letzte, was viele der Menschen denken, die sich das Leben nehmen, ist, dass ihr Leid jetzt ein Ende haben wird. Oftmals ist es so, dass sie eigentlich gar nicht sterben wollen, doch der Tod ist für sie leichter zu ertragen als das Schicksal, das sie im Hier erdulden müssen.«
    Er sah auf das Tuch vor ihren Füßen.
    »Kannten Sie ihn besser?«
    »Nein. Wir sind uns manchmal dienstlich über den Weg gelaufen, das war es aber auch schon. Jemanden besser zu kennen, ist was anderes.«
    »Vielleicht war er krank?«, sinnierte der Arzt.
    »Ja, vielleicht«, erwiderte Lenz und musste dabei an Rolf-Werner Gecks denken, bei dem ein Jahr zuvor Prostatakrebs diagnostiziert worden war und der seit vielen Jahren ein Verhältnis mit der Frau des Mannes hatte, dessen Leben an diesem Morgen im Eingang eines Eisenbahntunnels sein Ende gefunden hatte.
    Dr. Franz griff mit entschuldigender Geste nach der Taschenlampe in Lenz’ Hand.
    »Ich muss noch ein bisschen an seinem Mittelteil arbeiten, bevor ich es bergen kann. Es hat sich nämlich mächtig in der Achse des Waggons verklemmt.«
    »Ja, machen Sie nur, Doc. Wir haben jetzt eh was anderes zu tun.«
    »Sie fahren zur Witwe?«
    Der Polizist nickte.
    »Eine Aufgabe, um die ich Sie nicht beneide. Alles Gute dabei.«
    Damit machte er sich auf den Rückweg zu dem Waggon, unter dem, wie er es ausgedrückt hatte, das Mittelteil von Norbert Schneider eingeklemmt war.
    »Lass uns hier abhauen, Thilo«, forderte Lenz seinen kreidebleichen Kollegen auf.
    »Nichts lieber als das.«
     
    *
     
    »An Tagen wie diesen wünsche ich mir, auf meine Großmutter gehört und eine Banklehre gemacht zu haben«, gestand Hain eine knappe Viertelstunde später mit einem Kaffee in der Hand seinem Kollegen. Sie standen an der Theke eines italienischen Eiscafés in einem nahegelegenen Einkaufszentrum und hatten jeder schon zwei doppelte Espressi intus.
    »Ja, das kann ich gut

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