Zeitbombe
Hauptkommissar und Maria Zeislinger im Garten des Hauses von Uwe Wagner, wo sie zur Geburtstagsfeier des Pressesprechers eingeladen waren. Noch nach Mitternacht stand das Thermometer auf 28 Grad, und als das Paar um kurz nach vier Uhr morgens aufbrach, waren am Horizont schon die ersten Vorboten des neuen Tages zu erahnen. Lenz, der nur zu Beginn der Fete eine Weinschorle getrunken und sich danach für den Rest des Abends mit Mineralwasser begnügt hatte, fuhr mit offenem Dach durch die schlafende Stadt; seine Freundin saß, leicht angeschickert, neben ihm auf dem Beifahrersitz. Während das Cabrio die Wilhelmshöher Allee stadtauswärts rollte, griff sie nach seiner Hand und sah ihn an.
»Du tust mir so unglaublich gut, Paul«, flüsterte sie in den lauen Fahrtwind.
Der Polizist, der jedes ihrer Worte mit großer Freude aufgenommen hatte, setzte seine schönste Unschuldsmiene auf und hob fragend eine Augenbraue.
»Was sagst du?«
»Du hast mich genau verstanden, also tu nicht so scheinheilig.«
»Dann bin ich wohl aufgeflogen«, entgegnete er mit lachendem Gesicht.
»So sieht es aus, ja.«
»Aber ich freue mich natürlich, dass es …«
Weiter kam er nicht, denn er wurde von der Melodie seines Telefons in der Innentasche des Sakkos unterbrochen.
»Geh bitte nicht dran«, forderte Maria ihn sanft auf. »Wenn du jetzt das Telefon in die Hand nimmst, kann ich garantiert später nicht in deinem Arm aufwachen, Paul.«
Lenz griff nach dem Gerät und versuchte, die Informationen auf dem Display zu entziffern, was ihm ohne seine Lesebrille sehr schwerfiel. Mit zusammengekniffenen Augen erkannte er schließlich, dass ein Anrufer aus dem Polizeipräsidium ihn erreichen wollte. Der Kommissar bremste ab und lenkte den Wagen in eine Parkbucht.
»Maria, da muss ich …«
»Mach nur, mein pflichtbewusster Bulle«, seufzte sie theatralisch, musste jedoch ob ihrer Pose selbst grinsen.
»Ja, Lenz.«
»Moin, Paul«, meldete sich die vertraute Stimme von Jürgen ›Lemmi‹ Lehmann, einem Hauptkommissar des Kriminaldauerdienstes.
»Hallo, Lemmi«, brummte Lenz in das kleine Mikrofon vor seinem Mund. »Wenn du mich um so eine Zeit anrufst, hat das noch nie etwas Gutes zu bedeuten gehabt.«
»Und an dieser schönen Tradition sollten wir auch auf gar keinen Fall irgendetwas ändern«, konterte der ehemalige Profifußballer in Diensten der Polizei. »Wir haben mal wieder einen, dem das Leben auf unserer schönen Welt zu viel geworden ist, Paul.«
Lenz stöhnte auf.
»Ich weiß«, machte Lehmann einen Beschwichtigungsversuch, »dass um diese Uhrzeit so was eigentlich in unseren Bereich fällt, aber wegen der Ferien sind wir dermaßen knapp besetzt, dass einfach niemand da ist, der sich darum kümmern kann. Und da dachte ich mir, dass du …«
»Nee, Lemmi«, unterbrach der Mann im Wagen seinen Kollegen. »Das geht heute Nacht wirklich nicht. Ich bin im Übrigen gar nicht dienstfähig, weil ich ziemlich einen im Tee hab.«
»Ich weiß. Du warst auf Uwes Geburtstagsfeier.«
Es entstand eine kurze Pause.
»Thilo, dieser Arsch …«, zischte Lenz.
»Ja, Thilo. Er ist übrigens schon auf dem Weg zu dir und hat mich gebeten, bei dir anzurufen, weil er sich schon gedacht hat, dass du mir keinen Korb geben würdest.«
»Warum macht der Kerl so was?«
»Er sagt, er hätte ohnehin wach gelegen wegen der Hitze.«
»Und was hat das mit mir zu tun? Ich könnte garantiert saugut schlafen.«
Lehmann schnaufte deutlich hörbar ins Telefon.
»Bitte, Paul. Ihr fahrt kurz zum Rengershausener Tunnel, schaut euch die Sache an, und in zwei Stunden liegst du neben deiner Maria im Bett und schnarchst. Als Belohnung kannst du dein Überstundenkonto …«
»Warte, warte, Lemmi!«, fiel Lenz ihm erneut ins Wort. »Es hat sich schon wieder einer vor den Zug geworfen? Und wieder am Rengershausener Tunnel?«
»Exakt. Sogar an der gleichen Stelle wie unser guter Wasserpfeifen-Nobby, wenn ich es richtig verstanden habe.«
»Dann kannst du auf jeden Fall vergessen, dass ich da hinfahre, Lemmi. Mir wird jetzt noch schlecht, wenn ich an das Bild von vor zwei Wochen denke. Und Thilo kann ich ganz und gar nicht verstehen, der hat immerhin wegen des selten schönen Anblicks der Überreste von Wasserpfeifen-Nobby den Bahndamm vollgekotzt.«
»Davon hat er gar nichts erwähnt«, gab Lehmann gut gelaunt zurück. »Also, was ist jetzt? Fährst du mit ihm oder soll Thilo das allein machen?«
Im Rückspiegel sah Lenz das Scheinwerferpaar eines Wagens
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