Zeitbombe
Hauptkommissar gleich noch den längst überfälligen Bericht in einem anderen Fall erledigte. Kurz bevor er das Büro verlassen wollte, klingelte sein Mobiltelefon.
»Lenz«, meldete er sich.
»Ich bin’s, Maria. Ist alles gut bei dir?«
»Ja, ich bin gerade fertig geworden und will jetzt nach Hause kommen.«
»Bist du im Präsidium?«
»Ja, warum?«
»Weil ich auf dem Weg in die Stadt bin und gern mit dir auf den Markt gehen würde. Was hältst du davon?«
Der Polizist dachte kurz über das Angebot nach. Bisher hatten es die beiden vermieden, sich gemeinsam in der Markthalle zu zeigen, wo, speziell samstags, das Bildungsbürgertum und die besseren Kreise der Stadt ihre Einkäufe erledigten.
»Ich glaube«, schien Maria seine noch immer virulenten Vorbehalte zu erahnen, »dass wir so langsam zu unserer Sache stehen sollten, auch im Epizentrum der Hautevolee.
»Aber wir stehen doch zu unserer Sache, Maria.«
»Gut«, überging sie die nicht zu überhörende Skepsis in seiner Stimme, »dann hole ich dich ab. In zwei Minuten bin ich da.«
Damit klackte es in der Leitung und das Gespräch war beendet.
»Wenn das mal gut geht«, murmelte Lenz.
*
Es war gut gegangen. Enzo, der junge Capo des Marktstandes, der ein paar Monate zuvor Vater geworden war, kannte natürlich die ganze Geschichte um Lenz und seine Freundin, auch, weil er den Polizisten während dessen Solobesuchen immer wieder wegen der neuesten Entwicklungen ausgequetscht hatte. Einzig Erich Zeislinger, sonst in früheren Zeiten eifriger Marktgänger, war, seit Maria den OB verlassen hatte, nicht mehr in der Markthalle aufgetaucht.
»Ciao, Commissario, ciao, Signora Seisselinger«, waren die beiden von dem braun gebrannten und, zumindest nach außen hin, stets gut gelaunten Sizilianer mit Kasseler Wurzeln trotz der Schlange an der Theke laut und überschwänglich begrüßt worden.
Sie hatten gegessen, danach eingekauft und dabei die vielen verstohlenen Blicke der anderen Marktbesucher über sich ergehen lassen. Am Nachmittag, als Maria längst in der Hängematte und Lenz mit einem Buch neben ihr auf dem Boden lag, kam sie noch einmal auf den Morgen zu sprechen.
»War dir die Situation auf dem Markt heute Morgen unangenehm?«
Er schaute von seiner Lektüre auf und schob die Lesebrille in die Stirn.
»Warum?«
»Weil du eine Weile ziemlich angespannt auf mich gewirkt hast.«
Lenz schob das Lesezeichen in die Seiten, die er gerade gelesen hatte, klappte den Deckel des Buches zu, robbte sich unter die Hängematte und begann, durch die Stoffbahn hindurch ihren Bauch zu streicheln.
»Ist das etwa eine adäquate Antwort, Herr Kommissar?«, schnurrte Maria.
»Wenn du so willst, schon.«
»Will ich nicht. Mir wäre eine richtige Antwort lieber.«
Er stoppte seinen Einsatz an ihrem Körper.
»He, das heißt aber nicht, dass du aufhören sollst.«
»Klar war ich nervös, und das weißt du scheinheiliges kleines Monster auch ganz genau. Ich war ebenso nervös wie du, um präzise zu sein.«
»Ich war überhaupt nicht nervös«, protestierte sie mit gekünstelt erhobener Stimme. »Ich habe jeden Augenblick genossen, so, wie ich immer die Augenblicke mit dir genieße. Und scheinheilig ist ein ganz gemeines Attribut, das ich mir nicht so einfach gefallen lassen kann, mein Lieber.«
Lenz schenkte ihrer Erwiderung keinerlei Beachtung, sondern stand in aller Seelenruhe auf, ging auf den Wasserhahn an der Wand zu, griff sich den Schlauch, der daran befestigt war, und richtete die Spitze auf Maria, die sein Treiben mit entspannter Miene verfolgte.
»Das traust du dich niemals«, sprudelte es fröhlich aus ihr heraus. »Dazu fehlt dir der Mumm, mein Lieber, weil du weißt, dass ich dir für so was die …«
Weiter kam sie nicht, weil in diesem Moment Lenz entgegen ihrer festen Überzeugung das Wasser aufgedreht hatte und sie von oben bis unten nass spritzte.
»Du hinterlistiger Mistkerl!«, schnaubte sie, sprang aus der Hängematte und warf sich auf ihn. Keine zwei Minuten später wälzten sie sich nackt auf den warmen und feuchten Fliesen der Terrasse.
Die nächsten beiden ungewöhnlich heißen Sommerwochen waren geprägt von Thilo Hains neuer Rolle als sehr fürsorglichemVater von Zwillingen. Carla, seine Freundin, hatte einen Jungen und ein Mädchen entbunden, was den Freund und Kollegen von Lenz in einen wahren Freudentaumel versetzt hatte.
Die sterblichen Überreste von Norbert Schneider waren seit ein paar Tagen unter der Erde.
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