Zeitbombe
reden.
»Sollen diese Pimmeltrienen sich doch hier ins Auto setzen und sich die Nacht um die Ohren schlagen, dann wüssten sie, was für eine Scheiße sie mit diesem saublöden Urteil verzapft haben.«
Chris Neuner hörte seinem Kollegen mit immer größer werdenden Augen bei dessen Tirade zu.
»Und außerdem …«, wollte Zimmermann fortfahren, wurde jedoch von dem Auftauchen einer jungen Frau gebremst, die mit schnellen Schritten auf die große Glastür zusteuerte, einen Schlüsselbund aus der Tasche zog und nach kurzer Zeit im Fahrstuhl verschwand.
»Jetzt fang bitte nicht gleich wieder an mit deiner Litanei«, bat Neuner seinen Kollegen, nachdem die Flurbeleuchtung erloschen war. »Es ist für uns alle nicht das größte Vergnügen, diesen Kerl zu observieren, aber es muss gemacht werden, und deshalb hängen wir hier rum, ob es uns nun gefällt oder nicht.«
»Ich könnte den Kerl umbringen«, flüsterte Zimmermann.
»Ich weiß. Ich übrigens auch. Aber auch das würde nichts ändern, weil es mehrere von seiner Sorte gibt, und es wird uns nicht gelingen, jeden einzelnen von ihnen abzumurksen. Also entspann dich und komm ein bisschen runter, dann geht es uns beiden besser.«
Zimmermann hätte zu gern noch ein wenig geflucht, doch er wollte es sich nicht zu sehr mit seinem Partner verscherzen. Immerhin war er erst vor ein paar Monaten in der Abteilung gelandet und von den Kollegen, zumindest am Anfang, überaus freundlich aufgenommen worden.
»Aber es ist doch wirklich nicht abzustreiten, dass der Typ ein Krüppel ist, der schon rein physisch gar nicht in der Lage ist, jemandem was anzutun. Wenigstens das musst du zugeben«, versuchte er, zumindest so etwas wie einen Rest an Zustimmung zu erheischen. Neuner setzte sich aufrecht, griff nach der Zigarettenpackung auf dem Armaturenbrett und öffnete die Tür. Bevor er ausstieg, drehte er den Kopf noch einmal in Richtung seines manchmal sehr nervigen Kollegen.
»Ja, Bernd, was das angeht, hast du völlig recht. Wenn es nach mir ginge, würde ich den Einsatz auch sofort abblasen, aber leider geht es weder nach dir noch nach mir. Wir haben einen Auftrag, und den erledigen wir, basta. Im Übrigen kann ich mich noch an die endlosen Nächte an der Startbahn West in Frankfurt erinnern, am besten im tiefsten Winter. Dagegen ist der Job hier die reinste Freude.«
Damit stieg er aus dem Wagen, schob leise die Tür ins Schloss, setzte sich auf ein Mäuerchen gegenüber und zündete sich einen Glimmstängel an.
Um 8.20 Uhr am Morgen, also ein paar Stunden später, stand Zimmermann vor der Tür zum Büro seines Chefs. Auf sein Klopfen hin hörte er von innen ein freundliches »Ja, bitte« und trat ein.
»Morgen, Herr Wichers«, begrüßte er den Mann hinter dem Schreibtisch, der erstaunt aufsah.
»Hallo, Herr Zimmermann. Ich wähnte Sie längst auf dem Weg ins Bett. Setzen Sie sich, was treibt Sie zu mir?«
Wichers wusste, dass der neue Kollege, der aus Sachsen stammte und sich wegen einer Liebelei nach Hessen hatte versetzen lassen, bei vielen Kollegen wegen seiner Art schon angeeckt war. Trotzdem hielt er große Stücke auf Zimmermann, auch, weil er wusste, dass der seinen Kommissarlehrgang als Jahrgangsbester abgeschlossen hatte.
»Es geht um diese Observierungen, Chef«, begann Zimmermann und ließ sich dabei auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch nieder. »Wir sitzen rund um die Uhr vor dem Haus dieses Bornmann, und eigentlich passiert gar nichts. Einmal die Woche geht er einkaufen, den Rest der Zeit hockt er zu Hause und glotzt vermutlich in die Röhre. Wenn er nicht so behindert wäre, würde ich vielleicht nichts dazu sagen, aber so einen muss man doch nun wirklich nicht 24 Stunden am Tag observieren, oder?«
Wichers lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und sah dem Mann aus Sachsen lange in die Augen.
»Ich gebe Ihnen in allen Punkten recht, Herr Zimmermann. Nur leider haben wir es nicht zu entscheiden, ob die aus der Sicherungsverwahrung Entlassenen observiert werden müssen oder nicht. In einem Fall wie dem von Rüdiger Bornmann würde ich natürlich auch sagen, dass die Überwachung von vorn bis hinten unnötig ist, aber diese Entscheidung ist keine dienstliche, sondern eine höchst politische. Was, glauben Sie, machen die Boulevardmedien daraus, wenn einer dieser Entlassenen irgendwas Krummes anstellt? Und dabei geht es mir noch nicht einmal um Mord oder Totschlag oder Vergewaltigung oder Kinderschändung, sondern von mir aus auch nur um ein
Weitere Kostenlose Bücher