Zeitbombe
Dienstausweis hervor und trat mit der kleinen Karte in der Hand bis auf zehn Zentimeter an den plötzlich entsetzt und verunsichert auf den Ausweis schielenden Corsafahrer heran.
»Scheißbulle höre ich übrigens nicht so furchtbar gern. Außerdem erfüllt es den Straftatbestand der Beleidigung, wenn man einen Polizisten so nennt«, klärte Hain ihn auf. Keine 30 Sekunden später stand der kleine Rüsselsheimer auf einem seinem Status angemessenen Parkplatz, während die beiden Insassen mit gesenkten Köpfen und in weitem Bogen um Hain herum auf den Eingang des Einkaufszentrums zuschlichen.
»Geht’s dir jetzt besser?«, wollte Lenz wissen, nachdem er aus dem Wagen gestiegen und sich zu Hain gesellt hatte.
»Worauf du einen lassen kannst.«
»Gewaltfreie Kommunikation sieht irgendwie ein klein wenig anders aus, was meinst du?«
»Kann sein, aber die befand sich heute Morgen einfach nicht unter den Bewältigungsstrategien für den Umgang mit Arschlöchern. Und jetzt lass uns Kaffee trinken gehen.«
›Wolfram und Friederike Humpe‹ stand auf einer grob aus Ton geformten und bunt bemalten ovalen Platte, die links neben der blau angestrichenen Holztür hing. Irgendwo aus dem Innern des Hauses drang gedämpft Musik; etwas aus der Ethnoecke. Lenz holte tief Luft, schluckte und presste den rechten Zeigefinger auf den kleinen goldenen Klingelknopf. Die Musik verstummte, danach erklang das typische Geräusch von Holzschuhen auf einer Treppe aus dem gleichen Material.
»Ja, bitte«, begrüßte eine freundlich aussehende Frau um die 50, nachdem sie die Tür mit viel Schwung geöffnet hatte, die Polizisten. Der Hauptkommissar deutete auf das Tonschild neben der Tür.
»Frau Humpe? Friederike Humpe?«
Sie lächelte die beiden Männer an ihrer Tür an, wobei sie den Kopf zwischen ihnen so schnell hin und her bewegte, dass ihre aschblonden Haare von einer Seite auf die andere geschleudert wurden.
»Ja, ich bin Friederike Humpe. Was kann ich für Sie tun?«
Lenz schluckte erneut.
»Ich bin Hauptkommissar Paul Lenz, das ist mein Kollege Thilo Hain. Dürfen wir hereinkommen, Frau Humpe?«
Sie zog entschuldigend die Schultern hoch.
»Eigentlich nicht, weil ich gerade auf dem Sprung bin. Ich will mit unserer Enkeltochter ins Schwimmbad. Außerdem …«
Ihre rechte Hand wies auf den verwaisten Stellplatz im Carport.
»… ist mein Mann, den Sie bestimmt sprechen wollen, leider nicht zu Hause. Er ist zu einem Seminar gefahren, nach Nürnberg.«
Lenz sah sie erstaunt an.
»Wann war das?«
»Gestern Abend.«
Lenz und Hain tauschten einen verstohlenen Blick, bevor der Hauptkommissar weitersprach.
»Ich bedauere, Frau Humpe, aber Ihr Mann ist nicht in Nürnberg angekommen. Er ist …«
»Ich muss Sie unterbrechen, Herr …?«
»Lenz. Paul Lenz.«
»Ja, Herr Lenz, es tut mir wirklich leid, wenn ich Sie so abrupt unterbrechen muss, aber mein Mann ist ganz sicher in seinem Hotel in Nürnberg angekommen. Das weiß ich deshalb so genau, weil ich gestern Abend um 21.30 Uhr mit ihm telefoniert habe, und zu diesem Zeitpunkt hat er sich mit absoluter Sicherheit im Hotel Frankenliebe in Nürnberg-Langwasser aufgehalten.«
Während sie gesprochen hatte, waren die Züge um ihren Mund ein wenig härter geworden.
Für einen Moment war Lenz irritiert. Hatte Hain am Ende doch den falschen Mann identifiziert?
»Hat er Sie angerufen?«, mischte der Oberkommissar sich ein, »oder haben Sie ihn angerufen, Frau Humpe?«
Nun verfinsterte sich ihr Ausdruck schlagartig.
»Ich weiß nicht, was das, was Sie hier veranstalten, soll, meine Herren. Ich habe Ihnen gesagt, dass mein Mann in Nürnberg ist und dass er schon gestern Abend dort war.«
Sie trat einen Schritt auf Hain zu und sah ihm fest in die Augen.
»Und wenn es Sie beruhigt, junger Mann, ja, ich habe ihn auf seinem Hotelzimmer angerufen. Und weil ich keine Durchwahl hatte, bin ich von der Rezeption zu ihm durchgestellt worden.«
Mit einem Ruck drehte sie den Oberkörper und wandte sich Lenz zu.
»Und jetzt sagen Sie mir bitte, was Ihr Besuch hier zu bedeuten hat. Sofort!«
Lenz wollte zu einer Antwort ansetzen, doch Hain kam ihm zuvor.
»Wir müssen Ihnen leider eine sehr traurige Mitteilung machen, Frau Humpe. Ihr Mann wurde heute Morgen tot auf den Gleisen der ICE-Trasse bei Rengershausen aufgefunden. Wie es aussieht, hat er sich das Leben genommen.«
Nun fing Friederike Humpe laut an zu lachen, um ein paar Augenblicke später das Gesicht zu einer wütenden
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