Zeitbombe
los.«
18
Franz Zwick lag seit mehr als zwei Stunden in seinem Bett und drehte sich von einer Seite auf die andere. Immer und immer wieder ging ihm die Szene mit diesem impertinenten Hauptkommissar Lenz durch den Kopf.
Insubordination!
Das war das einzige Wort, mit dem das Verhalten seines Untergebenen treffend zu beschreiben war.
Ich hätte ihm auf der Stelle seine Marke und die Dienstwaffe abnehmen sollen, fluchte der Kriminalrat innerlich. Und Hain gleich mit.
Seit er berufen worden war, tanzten ihm die beiden, wo immer es ging, auf der Nase herum.
Dabei bin ich doch wirklich ein umsichtiger und empathischer Vorgesetzter, mit dem jedermann gut auskommen kann, dachte er.
Im österreichischen Hinterstoder geboren, war er mit elf Jahren nach Deutschland übergesiedelt. Seine Mutter, eine Skilehrerin, hatte sich Hals über Kopf in einen deutschen Touristen verliebt und ihm und seiner Schwester eines Abends eröffnet, dass man den Vater verlassen und nach Deutschland ziehen würde. Der kleine Franz hatte seine Mutter gehasst dafür, weil ihr Entschluss ihm alles genommen hatte, was ihm etwas bedeutete. Seine Freunde, seine Schule, die Großeltern und nicht zuletzt das Skilaufen, an das in der nordhessischen Provinz, wo er nun leben musste, nicht zu denken war.
Tausendmal hatte er sie gebeten, zurück nach Österreich, zu seinem Vater, gehen zu dürfen, doch sie hatte immer wieder abgelehnt.
Kinder gehören zur Mutter, egal, wohin es die auch verschlägt, war ihre Standardantwort gewesen. Außerdem hatte der Vater etwa ein Jahr nach der Scheidung auf einer Ölbohrinsel angeheuert und war nur noch sehr unregelmäßig in der Heimat anzutreffen gewesen.
Irgendwann hatte der jugendliche Zwick dann die Umstände akzeptiert und sich auch nicht mehr gegen die Adoption gewehrt, auf die sein Stiefvater immer gedrungen hatte. Ironie des Schicksals war, dass er keine sechs Monate danach einem Schlaganfall erlag.
Franz Zwick, dessen österreichischer Akzent immer noch herauszuhören war, machte Abitur und bewarb sich damit bei der Polizei, wo er nach erfolgreicher Aufnahmeprüfung 1979 den Dienst antrat.
Hatte sich seine Karriere am Anfang noch etwas holprig gestaltet, so verstand er mit den Jahren, worauf es ankam. Er machte sich mit seiner unbestritten charmanten Art beliebt bei den Vorgesetzten, Mitarbeiter und Untergebene hingegen behandelte er mit unerbittlicher Härte und zuweilen jenseits jeglicher Gerechtigkeit.
Doch dieses Verhalten zahlte sich aus, und in Kombination mit einem gewissen politischen Instinkt, den man allerdings durchaus als wetterwendisch bezeichnen konnte, war er in der Hierarchie der hessischen Polizei mit bemerkenswerter Regelmäßigkeit Stufe um Stufe auf der Karriereleiter nach oben gestiegen. Zunächst in Südhessen, wo seine geschiedene Frau herkam, und später auch in Nordhessen, als sich dort die Chance zum weiteren Aufstieg geboten hatte.
Ich werde diesen beiden Schnöseln schon zeigen, wer der Herr und wer der Hund ist, dachte er im gleichen Moment, in dem das Telefon auf dem Flur klingelte. Er lauschte in die Dunkelheit, ob er sich vielleicht geirrt hätte, doch das Geräusch wiederholte sich. Der Polizist stemmte sich über die Kante des Doppelbettes, in dem er schon seit mehreren Jahren allein schlief, schlüpfte in die Schlappen, die auf dem Läufer standen, und schlurfte aus dem Zimmer.
»Ja, Zwick«, meldete er sich mit dem Habitus eines Mannes, der es gewohnt ist, Anweisungen zu geben und Befehle zu erteilen. Die leise Stimme des Mannes, der ihm antwortete, klang unaufgeregt, ruhig und souverän.
»Guten Morgen. Können Sie auch nicht schlafen?«
»Was fällt Ihnen ein? Wenn das ein Witz sein soll, kann ich nicht darüber lachen.«
»Oh«, erwiderte der Anrufer sanft, »zum Lachen möchte ich Sie auf gar keinen Fall bringen, Herr Zwick.«
Nun war klar, dass der Anruf dem Kriminalrat persönlich galt.
»Wer sind Sie?«
»Das tut nichts zur Sache.«
»Und was wollen Sie von mir?«
»Mich mit Ihnen treffen.«
»Warum sollte ich mich mit Ihnen treffen? Und warum rufen Sie deswegen mitten in der Nacht an? Ein Treffen sollte man wirklich zu anderen Tageszeiten vereinbaren.«
»Sie werden sich innerhalb der nächsten Stunde mit mir treffen, weil ich Ihnen den Mörder der beiden Polizisten aus dem Eisenbahntunnel liefern kann.«
Zwick schluckte. Obwohl der Polizist, wie immer übrigens, versuchte, die Richtung und den Verlauf des Gesprächs vorzugeben, wurde ihm
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